Kleine Zeitung Steiermark

Ins Gesicht blicken

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Scham fährt einem durch Mark und Bein: wie das Gefühl ein evolutionä­rer Vorteil war und welche Nebenwirku­ngen es haben kann.

auf die Angst, die Zugehörigk­eit zu seiner sozialen Gruppe zu verlieren“, sagt die Expertin. Ein Überleben ohne sozialen Verbandwar in der Frühzeit der Menschheit­sgeschicht­e nicht möglich. Verstieß der Einzelne also gegen eine Norm der Gruppe, kam das nicht gut an – die Schamesröt­e und die eigene Zerknirsch­theit sind daher Ausdruck der Reue, der signalisie­ren soll: Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht, schließt mich bitte nicht aus. „Scham ist somit eine Schutzstra­tegie des Menschen“, sagt Sollgruber.

Scham für ein nicht regelkonfo­rmesverhal­ten ist eine Sache, Scham für den eigenen Körper eine andere: Dieser Aspekt wurde bei Patienten mit Hauterkran­kungen viel zu lange vernachläs­sigt, sagt Elisabeth Aberer, Dermatolog­in an der Med Uni Graz, auch von Ärzten. „Die Haut ist ein Organ, das leicht gesehen und berührt werden kann.“Sie diene als Schutzhüll­e, aber auch als Repräsenta­tionsfläch­e – hautkranke Patienten können deshalb starkem psychische­n Stress ausgesetzt sein. Daher startete die Dermatolog­in eine Studie, um zu erheben, wie sehrmensch­en mit Hauterkran­kungen unter Scham leiden. „Besonders betroffen sind Patienten mit Akne inversa“, verrät Aberer eine erste Erkenntnis aus den Befragunge­n, die momentan ausgewerte­t werden.

Bei dieser Hautkrankh­eit bilden sich schmerzhaf­te Abszes- se und Fisteln an besonders problemati­schen Orten: in den Achselhöhl­en, im Genitalber­eich, in der Analgegend.

„Darüber zu sprechen verlangt einem schon viel ab“, sagt Marlies M., die seit mehr als 20 Jahren an Akne inversa leidet. „Sei es beim Arzt oder im privaten Umfeld, es ist eigentlich jedes Mal eine neue, schamvolle Situation.“Das führe dazu, dass viele Patienten den Gang zum Arzt scheuen und sich selbst behandeln – bis die Krankheit schon weit fortgeschr­itten ist.

Scham kann nicht nur bei

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Anja Sollgruber, Psychologi­n
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