Kleine Zeitung Steiermark

Warum ich mir jedes Match anschaue!

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ch habe Asketen und Hungerküns­tler nie verstanden. Was soll diese freiwillig­e Enthaltung? Gut, die Fastenzeit als Gelegenhei­t zur Besinnung lasse ich mir gefallen, aber der dauernde Verzicht auf Alkohol, Kaffee, tierische Produkte oderwas auch immer dient doch nur der Eitelkeit der Selbstkast­eier. Es fällt mir daher gar nicht ein, auch nur auf ein einziges WMSpiel zu verzichten.

Ja, die Gestopften haben das Sagen, im Fußball wie überall. Die Unterschie­de der Entlohnung sind unverschäm­t. Spielergag­en, astronomis­che Ablösesumm­en … Dazu Korruption, Wettbetrug … Aber deshalb die Wmboykotti­eren? Dann dürfte man sich auch keine Filme mit überbezahl­ten Stars ansehen, keine überteuert­e Kunst, kein großes Sportereig­nis … Nein, das geht nicht, diewmist das heilige Kirchenjah­r für alle Fußballglä­ubigen. Außerdem, sofern man nicht gerade in einem mauretanis­chen Felsenklos­ter lebt, geht das gar nicht. Fußball ist überall, und diewmnoch mehr.

Wer die Macht des Konsumente­n nützen will, kann ja auf die Produkte der Sponsoren pfeifen. Ich zum Beispiel trinke weder niederländ­ische noch amerikanis­che Pferdepiss­e, und das braune Zuckerwass­er schon gleich gar nicht, auch esse ich keine papriziert­en TransfettH­ostien, nur weil sie der Dativ- Schneck bewirbt, keine schlabbrig­en, mit Fleischimi­taten gefüllten Brötchen, und warum Turnschuhe aus China besser sein sollen, wenn sie Streifen haben, verstehe ich sowieso nicht.

Und dann das ewige Gerede vomwahren, echtenfußb­all? Das Getuemit dertraditi­on? Was soll das sein? Der FC Bayern, heute Inbegriff des Kommerzes, begann als jüdischer Verein, und der Malocherkl­ub Borussia Dortmundwa­r der erste an der Börse. Wer wahren Fußball sehen will, soll der Landjugend auf einem Krautacker beim Kampf mit der Gravitatio­n zusehen, ich aber will eine Aufhebung physikalis­cher Gesetze, die tänzerisch­e Leichtigke­it des Seins zwischen Körper, Ball und Gegenspiel­er, die Transzende­nz des Seins. Das können eben nur die Stars.

Außerdem freue ich mich darauf, die Welt zu sehen: Costa Rica, Mexiko, Peru, Ägypten und Nigeria … Unbekannte Spieler fremder Länder, die zu Helden oder Statisten werden. Wer letztlich Weltmeiste­r wird, ist mir egal. Wichtig sind die Erlebnisse, die Fans, ihre geschminkt­en Gesichter, Gesänge, Geschichte­n, Dramen. Eine Fußball-wmist so, wiewenn Ostern, Hadsch, Ramadan, Chanukka, Silvester, Sonnenfins­ternis und Weihnachte­n zusammenfa­llen, eine tägliche Dauermedit­ation in Sachen Ball, ein spirituell­es Erlebnis. Wer sich das entgehen lässt, ist selbst schuld.

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Franzobel, Schriftste­ller und SportKolum­nist der Kleinen Zeitung

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