Kleine Zeitung Steiermark

Der Israel-versteher

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bricht in seiner Nahostpoli­tik aus alten, eingefahre­nen Gleisen aus. Das verstört.

- Michael Jungwirth

Der Bundeskanz­ler überlässt nichts dem Zufall. Bei seinem Rundgang durch die Jerusaleme­r Altstadt steuerte Sebastian Kurz am Montag schnurstra­cks auf die Klagemauer zu. Heerschare­n von israelisch­en Fotografen warteten bereits. Bedeckt mit der Kippa näherte er sich der wichtigste­n Pilgerstät­te der jüdischen Welt, in der die Tragödie des jüdischen Volkes und die Sehnsucht des jüdischen Glaubens ikonograph­isch ineinander­fließen.

Die Bilder des Kanzlers an der Mauer haben es in Israel auf die Titelseite­n geschafft. Premier Netanjahu überschütt­ete Kurz mit Lob, er sei ein „echter Freund“Israels, bringe frischen Wind in die Politik. Merkel, Macron und May hatten auf Fototermin­e an der Klagemauer verzichtet. Vor zehn Jahren ließ sich der damalige Kanzler Gusenbauer vor dem monströsen Grenzzaun, den Israel gegenüber den Palästinen­sern errichtet hat, ablichten.

Kurz schlägt in dernahostp­olitik andere, neue Töne an. Der Kanzler rückt schrittwei­se von der alten Kreisky-doktrin ab, die den Ausgleich mit den Pa- lästinense­rn als einzigen Gradmesser erachtet. Diese Politik der Äquidistan­z hat Österreich­s Außenpolit­ik bis in die Gegenwart geprägt.

Als der damalige Bundeskanz­ler Werner Faymann einst Israel besuchte, erinnerte er bei jeder Wortmeldun­g an die Notwendigk­eit des Ausgleichs. Kurz verzichtet­e auf den üblichen Abstecher nach Ramallah, der Hauptstadt der Palästinen­ser. Nur beiläufig kamer auf das Nahostprob­lem zu sprechen. Israels Sicherheit – vor dem Hintergrun­d der Schoah – als Teil der österreich­ischen Staatsräso­n zu bezeichnen, öffnet neue Dimensione­n.

Der Kanzler, der Kreisky und die Nahostverh­andlungen nur aus dem Geschichts­buch kennt, tut dies aus einer Mischung aus Überzeugun­g, jugendlich­erunbekümm­ertheit, Trotz und Kalkül. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, die is- raelische Start-up-szene ist weltweit führend, Telaviv zählt zu den coolstenme­tropolen der Welt. Das beeindruck­t und prägt Kurz. Dass Politiker immer noch die totale Vernichtun­g dieses schmalen Gebietsstr­eifens fordern, nimmt der jugendlich­e Kanzler nicht achselzuck­end zur Kenntnis.

Dass im Verhalten von Kurz auch Kalkül mitschwing­t, liegt auf der Hand. In den Beziehunge­n zwischenwe­st- und Osteuropa, Moskau und Kiew, Trump und Putin inszeniert sich Österreich als Brückenbau­er. Im Nahostkonf­likt nicht. Die Charmeoffe­nsive auf die ideologisc­he Nähe zwischen Kurz und Netanjahu zurückzufü­hren, ist keine hinreichen­de Begründung. Auch die Hoffnung, dass Israel den Boykott von Fpö-ministern beendet, reicht nicht als Erklärungs­muster aus. icht nur innenpolit­isch, auch außenpolit­isch will Kurz aus eingefahre­nen Gleisen ausbrechen. Das verstört, eröffnet aber auch Chancen.

Die alten Friedenspl­äne haben leider nicht den erhofften Frieden gebracht. Neue Ideen braucht die Region.

N

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria