Der Israel-versteher
Bundeskanzler Sebastian Kurz bricht in seiner Nahostpolitik aus alten, eingefahrenen Gleisen aus. Das verstört.
Der Bundeskanzler überlässt nichts dem Zufall. Bei seinem Rundgang durch die Jerusalemer Altstadt steuerte Sebastian Kurz am Montag schnurstracks auf die Klagemauer zu. Heerscharen von israelischen Fotografen warteten bereits. Bedeckt mit der Kippa näherte er sich der wichtigsten Pilgerstätte der jüdischen Welt, in der die Tragödie des jüdischen Volkes und die Sehnsucht des jüdischen Glaubens ikonographisch ineinanderfließen.
Die Bilder des Kanzlers an der Mauer haben es in Israel auf die Titelseiten geschafft. Premier Netanjahu überschüttete Kurz mit Lob, er sei ein „echter Freund“Israels, bringe frischen Wind in die Politik. Merkel, Macron und May hatten auf Fototermine an der Klagemauer verzichtet. Vor zehn Jahren ließ sich der damalige Kanzler Gusenbauer vor dem monströsen Grenzzaun, den Israel gegenüber den Palästinensern errichtet hat, ablichten.
Kurz schlägt in dernahostpolitik andere, neue Töne an. Der Kanzler rückt schrittweise von der alten Kreisky-doktrin ab, die den Ausgleich mit den Pa- lästinensern als einzigen Gradmesser erachtet. Diese Politik der Äquidistanz hat Österreichs Außenpolitik bis in die Gegenwart geprägt.
Als der damalige Bundeskanzler Werner Faymann einst Israel besuchte, erinnerte er bei jeder Wortmeldung an die Notwendigkeit des Ausgleichs. Kurz verzichtete auf den üblichen Abstecher nach Ramallah, der Hauptstadt der Palästinenser. Nur beiläufig kamer auf das Nahostproblem zu sprechen. Israels Sicherheit – vor dem Hintergrund der Schoah – als Teil der österreichischen Staatsräson zu bezeichnen, öffnet neue Dimensionen.
Der Kanzler, der Kreisky und die Nahostverhandlungen nur aus dem Geschichtsbuch kennt, tut dies aus einer Mischung aus Überzeugung, jugendlicherunbekümmertheit, Trotz und Kalkül. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, die is- raelische Start-up-szene ist weltweit führend, Telaviv zählt zu den coolstenmetropolen der Welt. Das beeindruckt und prägt Kurz. Dass Politiker immer noch die totale Vernichtung dieses schmalen Gebietsstreifens fordern, nimmt der jugendliche Kanzler nicht achselzuckend zur Kenntnis.
Dass im Verhalten von Kurz auch Kalkül mitschwingt, liegt auf der Hand. In den Beziehungen zwischenwest- und Osteuropa, Moskau und Kiew, Trump und Putin inszeniert sich Österreich als Brückenbauer. Im Nahostkonflikt nicht. Die Charmeoffensive auf die ideologische Nähe zwischen Kurz und Netanjahu zurückzuführen, ist keine hinreichende Begründung. Auch die Hoffnung, dass Israel den Boykott von Fpö-ministern beendet, reicht nicht als Erklärungsmuster aus. icht nur innenpolitisch, auch außenpolitisch will Kurz aus eingefahrenen Gleisen ausbrechen. Das verstört, eröffnet aber auch Chancen.
Die alten Friedenspläne haben leider nicht den erhofften Frieden gebracht. Neue Ideen braucht die Region.
N