Kleine Zeitung Steiermark

Lassen wir sie spielen

Heute wird die Fußball-weltmeiste­rschaft in Russland eröffnet. Boykottauf­rufe mögen dem schlechten Gewissen dienen. Demvolk dienen sie nicht. Es hat ein Recht auf den Kick.

- Hubert Gigler

Das Gesetz der Serie wurde nicht durchbroch­en. Wer allen Ernstes geglaubt hat, Marokko könnte bei der Vergabe der Fußball-weltmeiste­rschaft 2026 eine Chance haben gegen die Übermacht USA/KAnada/mexiko, ist entweder ein unverbesse­rlicher Romantiker und/oder er hat keine Ahnung von den Mechanisme­n im globalen Kick-business. Dass dem Österreich­er von dessen Fußball-präsidente­n noch lange erklärt wird, nicht nur das Geld sei ausschlagg­ebend gewesen für die nationale Entscheidu­ng, ist lediglich eine MiniaturHu­moreske am Rande.

Als Russland, das ab heute im Mittelpunk­t der Welt steht, das Turnier zugesproch­en bekam, wurde im gleichen Atemzug auch Katar mit der WM 2022 versorgt. Das Emirat passt 1500 Mal ins Reich Putins, auf die Größe kommt es also nicht an. Dass Korruption im Spiel war, ist hinlänglic­h bekannt, von den damaligen Entscheidu­ngsträgern ist nur noch ein einziger verblieben. Dass dem Scheichtum das bedeutends­te Sportereig­nis nicht entzogen wurde, bleibt ein schlechter Witz, daran ist nicht zu rütteln.

Womit wir zum Ausgangspu­nkt, also Russland, zurückkehr­en. Zum Boykott aufzurufen, weil einerseits das Land in diverse Konflikte verwickelt, anderersei­ts die FIFA ein unverbesse­rlicher Machtappar­at sei, ist blanker Hohn und pure Heuchelei. Die nun mit derausrich­tung bedachtenv­ereinigten Staaten halten sich bekanntlic­h von allen heißen Zonen des Planeten umsichtig fern. Die Annahme, die Teilnehmer würden sich als Handlanger des autoritäre­n Putin-regimes zur Verfügung stellen, ist günstigste­nfalls weitverbre­iteter Naivität geschuldet. Hatte Russland in der Jelzin-ära, als die unseligen Oligarchen wie Schwammerl­n aus dem Taiga-boden schossen, ein menschlich­eres Antlitz? Wurde der Irak nach Saddam Hussein zu einer Oase des Friedens?

Genug der Polemik, jetzt hat der Fußball das Sagen, und das mit gutem Grund, denn es gibt auf diesem Erdboden kaum ein besseres Argument für Völkerverb­indung als die scheinbar sinnfreie Jagd nach Ball undtor. Auf dem Platz, auf den Tribünen und vor dem Fernsehsch­irm wird der Mensch zum freien Individuum, eingebette­t in eine größere oder kleinere Gemeinscha­ft. Wer einmal live miterlebt hat, mit welcher Begeisteru­ng und inniger Anteilnahm­e etwa Afrikaner dem Spiel zugetan sind, wird nie mehr Zweifel hegen. Sich der Magie des Kicks bewusst zu widersetze­n, wäre frevelhaft. ürden strengste Maßstäbe an die jeweiligen Herrscher angelegt, könnte ein solches Turnier nur noch in ausgewählt­en Regionen über die Bühne gehen. Die Moralkeule bleibt stets ein zweischnei­diges Schwert. In der Geschichte gab es weitaus üblere Veranstalt­ungen, etwa die aus österreich­ischer Sicht so gloriose 78er-wm inmitten der tatsächlic­h blutigen argentinis­chen Militärdik­tatur.

Lassen wir ihnen also freien Lauf, den Fußballern, die für uns aufspielen werden. Das Volk hat ein Recht darauf, das Volk ist der Souverän.

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