Bezweifelte Ideale und die Falle des Aufrechnens
In Kroatien wird bis heute über die Ustascha-vergangenheit gestritten.
Goldstein war 13 Jahre alt, als sein Vater aus seiner Buchhandlung in dem kroatischen Städtchen Karlovac abgeholt und in ein Lager verschleppt wurde, wo er mit allen anderen Häftlingen umkam.
In einem Buch aus dem Besitz seines verschleppten Vaters fand der Sohn einen angestrichenen Dichtervers: „Sterben wirst du, wenn du anfängst allein /An deinen Idealen zu zweifeln.“Aber, schreibt dersohnin seiner Biografie: „Ich habe inzwischen doppelt so lang gelebt wie mein Vater. So ist mir genug Zeit geblieben, um an meinen eigenen Idealen zu zweifeln.“
Der Zweifel wird ihm zum neuen Kompass. 1941, das Jahr, das nicht vergeht, heißt das Buch auf Deutsch.
1941 überfiel die deutschewehrmacht Jugoslawien und schuf in seiner Mitte den „Unabhängigen Staat Kroatien“, regiert von der Ustascha, einem Terror-regime, das bei der Stadt Jasenovac ein eigenes Vernichtungslager unterhielt und Serben und Juden ermorden ließ. Imwesten Europas scheinen die Jahre von 1933 bis 1945 wirklich und endgültig vergangen zu sein – durch die „Bewältigung“, die intensive Beschäftigung mit Krieg und Holocaust. In Kroatien dagegen wird wieder mit aller Härte über die Vergangenheit gestritten. Wer an die Opfer derustascha erinnert, muss sich vor allem auskreisen der katholischen Kirche kommunistischer und antikroatischer, pro-jugoslawischersympathien zeihen lassen. Denermordeten Serben, Juden undromawerden die Zehntausenden gefangenen Soldaten undkollaborateure der Ustascha entgegengehalten, auch zwangsrekrutierte, die nach Kriegsende von den kommunistischen Partisanen niedergemetzelt wurden.
Goldstein entkommtderfalle desaufrechnens mit sachlicher und moralischer Präzision. Er verwebt seine Erzählung mit erforschten Fällen, Morden, „Säuberungen“mit dem historischen Hintergrund und mit grundsätzlichen Reflexionen. Aber er tut es so, dass man immerweiß, was er selbst erlebt, was er gehört und was er recherchiert hat undwelche Gedanken von damals und welche von heute sind.
Goldstein: „1941. Das Jahr, das nicht vergeht.“S. Fischer Verlag,
592 Seiten, 30,90 Euro