Kleine Zeitung Steiermark

Keine Dankesschu­ld

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gut zwei Jahren erkundete ich mit meinem ältesten Sohn einewoche lang auf abenteuerl­ichen Wegen Island. Während einer dieser wunderbar einsamen Fahrten mit unserem geliehenen Geländewag­en, als der Tag nicht zu Ende gehen wollte, weil es immer noch hell war, erzählte mir Dominik von seinem Vaterglück. Wie froh und dankbar er sei, dass es seine beiden Kinder gibt. „Weißt du“, sagte er damals, „ich verstehe nicht, warum Kinder ihren Eltern dankbar sein sollten. Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Ich genieße jeden Augenblick, den ich mit Daniel und Lucia verbringen kann. Die Zeit, die ich mit ihnen teile, ist für mich ein großes Geschenk. Jeden Tag überrasche­n sie mich mit etwas Neuem, Unvorherse­hbarem. Kleine Kinder sind großewunde­r. Mir ist bewusst, dass es nicht immer so bleiben wird. Deshalb versuche ich täglich, so viele Stunden wie möglich bei ihnen zu sein. Du hast uns einmal das schöne chinesisch­e Sprichwort zitiert: Die Arbeit läuft dir nicht davon, wenn du deinem Kind einen Regenbogen zeigen willst. Aber der Regenbogen­wartet nicht, bis du mit der Arbeit fertig bist.“Und nach einer kurzen Pause: „Ein Kind wird nicht gefragt, ob es auf die Welt kommen will. Es kann sich nicht den Kontinent aussuchen, nicht das Land, nicht die Stadt und nicht seine Eltern. 50 Prozent seiner Gene hat es von der Mutter, 50 Pro- zent vom Vater. In vielen Fällen hätte es sichwohl andere ausgesucht. Es ist Schicksal, in welche Familie ein Kind hineingebo­ren wird. Wofür sollen Kinder dankbar sein, die von Anfang an keine Chance haben?“

Es war finster geworden, wir lagen im Zelt auf dem Autodach, da fragte ich meinen Sohn, was für ihn als Vater das Wichtigste sei. „Ich will sie immer beschützen“, antwortete er, ohne zu überlegen. „Wenn Daniel und Lucia hoffentlic­h von dem ganz großen Unglück verschont bleiben sollten, gibt es immer noch genügend Situatione­n, in denen du als Vater deine Kinder verteidige­n musst: zum Beispiel gegenüber Mitschüler­n, Lehrern. Sie sollen in der Gewissheit groß werden, dass ich ihnen immer helfen und für sie da sein werde. Das ist meine Pflicht als Vater. Und dafür schulden sie mir keinen Dank.“

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160 Seiten, 16,90 Euro

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