Kleine Zeitung Steiermark

Der Glanz der Macht beginnt zu schwinden

- Von Gerd Höhler Derweil wildert

Türkei-wahl am 24. Juni: Erdo˘gan muss um Mehrheit zittern. Die Opposition könnte ihn in die Stichwahl zwingen.

Bei früheren Wahlen profitiert­e der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ von der Schwäche der Opposition. Jetzt ist das anders.

Als Erdogan˘ im April die regulär erst Ende 2019 fälligen Parlaments- und Präsidente­nwahlen überstürzt auf den 24. Juni 2018 vorzog, reagierte er damit nicht nur auf die heraufzieh­ende Finanzkris­e. Er hoffte auch, die Opposition zu überrumpel­n. Anfangs schien ihm das zu gelingen. Inzwischen haben die Opposition­sparteien aber Tritt gefasst. Sie gehen mit einer Strategie in die Wahlen, die Erdogan˘ sowohl bei der Präsidente­n- als auch bei der Parlaments­wahl in die Defensive bringen könnte.

Die Wahlen markieren den Übergang von der parlamenta­rischen Demokratie zum Präsidials­ystem. Gewinnt Erdogan,˘ zementiert er seine Macht. Anfänglich­e Überlegung­en mehrerer Opposition­sparteien, einen gemeinsame­n Präsidents­chaftskand­idaten gegen Erdogan˘ aufzustell­en, scheiterte­n schnell. Jetzt treten fünf Konkurrent­en gegen den amtierende­n Staatschef an.

Das ist schlecht für Erdogan.˘ Ihm drohen Stimmenver­luste an mehreren Fronten. Muharrem nce repräsenti­ert als Kandidat der größten Opposition­spartei CHP nicht nur das kemalistis­che Bürgertum. Er spricht als ein Mann vom linken Flügel der CHP auch jüngere Wähler und liberale Intellektu­elle an. Überdies umwirbt nce gemäßigte kurdische Wähler.

die frühere Innenminis­terin Meral Ak¸sener im nationalis­tischen Lager, das Erdogan˘ an sich zu binden hoffte. nce und Ak¸sener kommen in jüngsten Umfragen zusammen immerhin auf rund 40 Prozent der Stimmen.

Dann ist da der Kurdenpoli­tiker Selahattin Demirta¸s, der unter der kurdischen Bevölkerun­g im Südosten viele Anhänger hat. Obwohl Demirta¸s inuntersuc­hungshaft sitzt und keinen Wahlkampf machen kann, sehen ihn Meinungsfo­rscher bei etwa acht Prozent.

Selbst um seine Kernklient­el, die religiös-konservati­ven Wähler, muss Erdogan˘ diesmal kämpfen: Temel Karamollao­glu˘ bewirbt sich für die islamistis­che Saadet Partisi, die Glückselig­keitsparte­i, um das Präsi- dentenamt und will enttäuscht­e Erdogan-˘wähler gewinnen. Im Wahlkampf gibt sich der 76-Jährige als Elder Statesman. Umfragen sehen Karamollao­glu˘ aber nur bei zwei Prozent.

Und der fünfte Bewerber, der Linksnatio­nalist Dogu˘ Perinçek, kommtmeinu­ngsforsche­rn zufolge sogar auf weniger als ein Prozent. Aber unterschät­I˙ zen darf Erdogan˘ keinen seiner Gegner. Er hat keine Stimme zu verschenke­n. In den meisten Umfragen liegt er unter der 50Prozent-marke. Verfehlt Erdogan˘ die absolute Mehrheit, müsste er sich am 8. Juli einer Stichwahl stellen.

Unterdesse­n sorgte Erdogan˘ einmal mehr für Aufregung in Österreich. Dieses Mal waren es angebliche Briefe der AKP, die an Schüler adressiert an mehreren Schulen in Wien eingegange­n sind. Erdogan˘ wirbt darin für seinen aktuellenw­ahlkampf. Nach einer ersten Analyse der Akademie der Wissenscha­ften sprechen allerdings mehrere Indizien gegen eine Authentizi­tät der Schreiben. So stimme das Logo nicht und auch die Adressieru­ng sei falsch: In der Türkei adressiere man mittig und nicht wie in den aufgetauch­ten Schreiben linksbündi­g.

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