Kleine Zeitung Steiermark

Krönung ohne Glanz

Demtürkisc­hen Präsident Erdo˘gan bleibt die Demütigung einer Stichwahl erspart. Aber er regiert ein zerrissene­s Land, in dem seine AKP keine absolute Mehrheit mehr hat.

- Gerd Höhler

Noch während die Stimmzette­l der Wahlen in der Türkei ausgezählt wurden, feierten die Anhänger des türkischen Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan˘ auf den Straßen und Plätzen des Landes überschwän­glich ihren Sieg – vielleicht etwas vorschnell.

Erdogan˘ hat zwar nach den am Sonntagabe­nd vorliegend­en Ergebnisse­n eineweiter­e Amtszeit gewonnen und kann sich nun der nahezu unumschrän­kten Machtbefug­nisse des neuen Präsidials­ystems bedienen. Aber die Krönung fiel weniger glanzvoll aus, als es sich der von seinen Fans als „Führer“verehrte Erdogan˘ wohl erhofft hatte.

Gewiss: Die Wähler bestätigte­n ihn schon im ersten Durchgang im Amt. Die Demütigung und das nicht zu unterschät­zende Risiko einer Stichwahl blieben Erdogan˘ erspart. Aber die Mehrheit fiel ähnlich knapp aus wie bei der Volksabsti­mmung über die neue Präsidialv­erfassung im vergangene­n Jahr. Und bei der gleichzeit­ig stattfinde­nden Parlaments­wahl bekam Erdogan˘ sogar einen deutlichen Dämpfer: Seine AKP, die islamisch-konservati­ve Gerechtigk­eits- und Entwicklun­gspartei, verlor ihre absolute Mehrheit. Sie wird damit auf die Unterstütz­ung der Grauen Wölfe von der ultrarecht­enmhpangew­iesen sein, die mit der AKP in einemwahlb­ündnis antrat.

Die AKP ist damit erpressbar. Der gewachsene Einfluss der Rechtsextr­emisten lässt nichts Gutes erwarten für die ohnehin stark strapazier­ten Beziehunge­n des Landes zu Europa und die Lösung innerer Konflikte wie der Kurdenfrag­e. Auch wenn Erdogan˘ mit dem neuen Präsidials­ystem über die Köpfe der Nationalve­rsammlung hinweggehe­n kann und das Land ohne Mitwirkung des Parlaments mit Dekreten praktisch im Alleingang regieren kann, ist derverlust der absolutenm­ehrheit für die AKP mehr als ein Schönheits­fehler. Das Wahlergebn­is zeigt einmal mehr: Die Türkei ist tief gespalten.

Erdogan˘ täte gut daran, nach diesem Dämpfer Brücken zu bauen und die polarisier­te türkische Gesellscha­ft zu einen. Und Annäherung ist auch im Verhältnis zur Europäisch­en Union angesagt. Europa braucht die Türkei als stabilen Partner an der Schwelle zum Nahen Osten. Aber mehr noch braucht die Türkei Europa. Die Staaten der Eusind die größten Handelspar­tner der Türkei, aus Europa kommendie meisten Investitio­nen. Es wäre daher auch im Interesse der türkischen Wirtschaft, wenn Erdogan˘ die destruktiv­epolarisie­rung im Inneren und den Konfliktku­rs gegenüber den westlichen Partnern beendet.

Der Absturz der türkischen Lira und die steigende Inflation sind unübersehb­are Alarmsigna­le. Wenn es dem Staatschef nicht gelingt, das Vertrauen der Anleger und Investoren zurückzuge­winnen, könnte das Land in eine schwere Krise stürzen. chon nach seiner ersten Wahl zum Staatsober­haupt 2014 versprach Erdogan,˘ er werde ein „Präsident aller Türken“sein. Davon war bisher nichts zu merken. Erdogan˘ täte gut daran, dieses Verspreche­n zu erneuern – und diesmal auch einzulösen.

S

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria