Krönung ohne Glanz
Demtürkischen Präsident Erdo˘gan bleibt die Demütigung einer Stichwahl erspart. Aber er regiert ein zerrissenes Land, in dem seine AKP keine absolute Mehrheit mehr hat.
Noch während die Stimmzettel der Wahlen in der Türkei ausgezählt wurden, feierten die Anhänger des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan˘ auf den Straßen und Plätzen des Landes überschwänglich ihren Sieg – vielleicht etwas vorschnell.
Erdogan˘ hat zwar nach den am Sonntagabend vorliegenden Ergebnissen eineweitere Amtszeit gewonnen und kann sich nun der nahezu unumschränkten Machtbefugnisse des neuen Präsidialsystems bedienen. Aber die Krönung fiel weniger glanzvoll aus, als es sich der von seinen Fans als „Führer“verehrte Erdogan˘ wohl erhofft hatte.
Gewiss: Die Wähler bestätigten ihn schon im ersten Durchgang im Amt. Die Demütigung und das nicht zu unterschätzende Risiko einer Stichwahl blieben Erdogan˘ erspart. Aber die Mehrheit fiel ähnlich knapp aus wie bei der Volksabstimmung über die neue Präsidialverfassung im vergangenen Jahr. Und bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl bekam Erdogan˘ sogar einen deutlichen Dämpfer: Seine AKP, die islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei, verlor ihre absolute Mehrheit. Sie wird damit auf die Unterstützung der Grauen Wölfe von der ultrarechtenmhpangewiesen sein, die mit der AKP in einemwahlbündnis antrat.
Die AKP ist damit erpressbar. Der gewachsene Einfluss der Rechtsextremisten lässt nichts Gutes erwarten für die ohnehin stark strapazierten Beziehungen des Landes zu Europa und die Lösung innerer Konflikte wie der Kurdenfrage. Auch wenn Erdogan˘ mit dem neuen Präsidialsystem über die Köpfe der Nationalversammlung hinweggehen kann und das Land ohne Mitwirkung des Parlaments mit Dekreten praktisch im Alleingang regieren kann, ist derverlust der absolutenmehrheit für die AKP mehr als ein Schönheitsfehler. Das Wahlergebnis zeigt einmal mehr: Die Türkei ist tief gespalten.
Erdogan˘ täte gut daran, nach diesem Dämpfer Brücken zu bauen und die polarisierte türkische Gesellschaft zu einen. Und Annäherung ist auch im Verhältnis zur Europäischen Union angesagt. Europa braucht die Türkei als stabilen Partner an der Schwelle zum Nahen Osten. Aber mehr noch braucht die Türkei Europa. Die Staaten der Eusind die größten Handelspartner der Türkei, aus Europa kommendie meisten Investitionen. Es wäre daher auch im Interesse der türkischen Wirtschaft, wenn Erdogan˘ die destruktivepolarisierung im Inneren und den Konfliktkurs gegenüber den westlichen Partnern beendet.
Der Absturz der türkischen Lira und die steigende Inflation sind unübersehbare Alarmsignale. Wenn es dem Staatschef nicht gelingt, das Vertrauen der Anleger und Investoren zurückzugewinnen, könnte das Land in eine schwere Krise stürzen. chon nach seiner ersten Wahl zum Staatsoberhaupt 2014 versprach Erdogan,˘ er werde ein „Präsident aller Türken“sein. Davon war bisher nichts zu merken. Erdogan˘ täte gut daran, dieses Versprechen zu erneuern – und diesmal auch einzulösen.
S