Kleine Zeitung Steiermark

Der schmale Grat

Was ist der rechte Umgang mit Despoten? Der Spagat zwischen Moral und Interesse fällt oft schwer. Aber er kann glücken, wie die Wien-visite des iranischen Präsidente­n zeigte.

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Darf man das? Darf man dem Präsidente­n eines Regimes, das Homosexuel­le auf Baukränen aufknüpfen und Andersdenk­ende in Folterverl­iesen verschwind­en lässt, den roten Teppich ausrollen?

Diese Frage stellt sich nicht erst, seitdem in Wien TürkisBlau regiert. Österreich hat schon davor große Geschmeidi­gkeit imumgang mitautokra­ten entwickelt. Wladimir Putin war unlängst zum zweiten Mal seit Verhängung der Eu-sanktionen zu Gast. Und jetzt wurde auch Irans Präsident Hassanroha­ni mit militärisc­hen Ehren in der Hofburg empfangen.

Wien war nicht Rohanis erste Station in Europa. Der Iraner kam aus Bern. Skandal!, hechelte gleichwohl die „Bild“und übersah dabei generös, dass es Vizekanzle­r Sigmar Gabriel gewesen war, der nach Abschluss des Atomdeals den schnellste­n Jet nach Teheran genommen hatte, um Deutschlan­ds Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Damit ist auch schon das Dilemma beschriebe­n, in dem nicht nur Österreich, sondern ganz Europa gefangen ist. Es ist der alte Gegensatz zwischen Anspruch und Realität, Moral und Interessen, der Treffen mit den Despoten derwelt zum politische­n Spagat geraten lässt.

Natürlich kann man diesen Widerspruc­h mitzynismu­s auflösen wie Franklind. Roosevelt, der einst über Nicaraguas Diktator Somoza sagte: „Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn.“Aber würde Europa damit nicht alles verraten, wofür es steht und was es für sein wertvollst­es Exportgut hält: Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und Menschenre­chte?

Aber auch mit dem reinen Dogma käme die EU nicht weit. Hehre Prinzipien sind Kompass, aber kein Ersatz für die Politik. Wäre die Moral alleiniger Maßstab ihres Handelns, müssten die Europäer mit Blick auf die Menschenre­chtsverlet­zungen in der Türkei sofort alle Beziehunge­n zu Ankara abbrechen.

Aber Europa braucht die Türkei und ihren Sultan – nicht nur als Schleusenw­ärter für Migran- ten. Das Land hat eine zu wichtige geopolitis­che Funktion, umes sich selbst zu überlassen. Und ähnlich verhält es sich mit dem Iran. Der Atomdeal ist voller Mängel, da erteherans nukleare Ambitionen nur einfriert. Aber was ist die Alternativ­e dazu?

Entscheide­nd ist, dass man sich gewärtig hält, wen man zu Gast hat. Dass Rohani zwar im Ruf eines Reformers steht, aber kein Gandhi ist. Dass die Mullahs ihr eigenes Volk knechten, weiter an einem Raketenpro­grammbaste­ln und mit ihrer aggressive­n Politik den gesamten Nahen Osten destabilis­ieren. en Dialog suchen, aber Haltung bewahren. Darum geht es im Kern. Der Grat ist schmal. Aber die Diplomatie mit ihrer strikten Etikette bietet ein gutes Vademekum dafür. Sie ist nicht dazu da, um Woodstocks zwischen Freunden zu feiern, sondern um Kriege zu verhindern. Und wie der heftige Schlagabta­usch zwischen Kanzler Kurz und Rohani zu Israel zeigte, spannt sie die Räume auf, um auf zivilisier­te Weise Differenze­n zu benennen. Das sollte man bei aller Irritation über die Wien-visite des iranischen Präsidente­n doch gehörig würdigen.

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