Kleine Zeitung Steiermark

Selbstmord“

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Ohne den Willen zu gemeinsame­n Grenzen könne Europa nie eine politsche Einheit werden, sagt der italienisc­he Philosoph und frühere Bürgermeis­ter von Venedig, Massimo Cacciari. Dann werden alle Mauern bauen und überall die Populisten siegen.

Lega vertritt typisch rechte Positionen. Die Fünf Sterne haben linksanarc­hische Anwandlung­en. Aber Salvini und Di Maio sind verdammt, gemeinsam zu regieren. Sie haben keine Wahl. Das macht ihre Koalition stark.

Noch nie hat Rom die EU so offen herausgefo­rdert. Stellt Italien eine Gefahr für Europa dar?

Die wahre Gefahr für Europa ist, dass es weitermach­t wie bisher. Dann wird es scheitern. Die Deadline steht fest. Es sind die Europawahl­en 2019. Kann Italien die EU wirklich herausford­ern? Das sind leere Worte. Denken Sie an Tsipras! Das sind Populisten, Schwätzer, aber keine Idioten. Die wissen, dass Mario Draghi und die EZB Italien mit dem Kauf von Staatstite­ln gerettet haben. Und dass es Einvernehm­en mit Europa braucht. Aber ihnen ist auch bewusst, dass man Zuspruch erntet, wenn man – durchaus zu Recht – die Mängel der Euund die Irrtümer ihrer Spitzen anprangert.

Woran denken Sie da konkret?

Der größte Fehler war es, in der Krise nur auf Austerität zu setzen. Deutschlan­d darf seither nicht mehr daran denken, Europa anzuführen. Du bist kein Familienob­erhaupt, wenn du dir selbst den Bauch vollschläg­st und deine Kinder krepieren lässt. Berlin darf nicht mit solchen Überschüss­en weitermach­en! Es muss in Europa investiere­n. Mein Großvater hat gesagt, das Geld ist rund, weil es rollen muss. Die Krise hat die Populisten erst stark gemacht. Und die Schwäche der Parteien, die aufgehört haben, ihre Arbeit zu machen und sich selbst dem Populismus zugewandt haben.

Was ist das, Populismus?

Der Glaube, dass es „das Volk“gibt. Aber das ist ein Hirngespin­st. Das demokratis­che Denken ist erst entstanden, indem man die abstrakte, ahistorisc­he Idee der Romantik vom „Volksgeist“bestritten hat. Denn was ist das Volk? Eine Vielzahl von zwischenge­schalteten Körpern, Personen, Interessen und Verbänden. In der Demokratie wird diese Diversität von Parteien repräsenti­ert, die sich begrifflic­h vom lateinisch­en Wort „pars“herleiten, auf Deutsch „Teil“. Die Parteien sind demnach politische Organisati­onen, die nur Teile der Gesellscha­ft repräsenti­eren. Und Aufgabe der Politik ist es, zwischen diesen Teilen zu vermitteln. Das ist Demokratie. Wenn einer also daherkommt und behauptet, er vertrete das Volk, hört er auf, ein Demokrat zu sein. Denn, um es mit Adorno zu sagen: In einer Demokratie ist das Ganze das Falsche.

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