Steirische Seele
Das obersteirische Öblarn ist seit Samstag wieder das größte Freilichttheater im Alpenraum – mit einem beeindruckenden Reigen an Brauchtumskunst.
Die letzten kunstvollen Frisuren werden geflochten, die Seidenschürzen gebunden, der erste Böller knallt und kündigt an: Öblarn ist für „Die Hochzeit“bereit. Seit 1989 wird das Stück von Paula Grogger alle fünf bis sechs Jahre in der kleinen obersteirischen Marktgemeinde aufgeführt. Vergangenen Samstag war es wieder so weit: Das ganze Dorf ist auf den Beinen, um das Publikum in das Jahr 1821 zu entführen. Als prächtige „Naturkulisse“fungiert der Dorfplatz mit Kirche, Herrschaftsamt und Wirt, den der Hochzeitslader mit dem Glockenschlag um Punkt 6 Uhr betritt: „I bin der Biddelmann von Gstatt, der euch zum Ehrentag einladt, wia seinerzeit die Bluatsvorfahren.“
Die Verbundenheit der Ennstaler mit ihrer Geschichte spürt man während des ganzen Stückes. Viele der 300 Darsteller schlüpfen imspiel rund um den historisch belegten Besuch von Erzherzog Johann (staatstragend gespielt von Gabriel Moosbrugger) im Ort in die Rollen ihrer Vorfahren. So füllt sich der Kirchplatz mit den Dorfleuten, die sich über die Gerüchte unterhalten, denn der „steirische Prinz“wird als Brautführer an einer Hochzeit teilnehmen. Nicht ganz uneigennützig, befindet sich unter denhochzeitsgästen doch auch seine Angebetete und spätere Frau Anna Plochl (Marlene Eberhardt). Das Schauspiel nimmt seinen Lauf und gipfelt im heiß ersehnten Treffen der Liebenden und dem abschließenden Fackelzug.
Was im Laufe des Stückes augenscheinlich wird: Das größte Freilichttheater im Alpenraum ist ein Lehrstück der steirischen Tradition, eine lebendig gewordene Brauchtumsenzyklopädie. Von der Kapelle über die Bradlmusi, vom Bändertanz über den Erzherzog-johannJodler bis hin zum Turmblasen wird dem staunenden Publikum alles geboten. kribisch wurde auch an der Ausstattung gearbeitet, viele Darsteller tragen über 100 Jahre alte Originaltrachten. Neben wunderschönen Seidenkleidern und den goldenen „Drahtl“-hauben der Frauen gehören die „Ranzen“– die breiten Schmuckgürtel mit feinster Federkielstickerei – zu den wertvollsten Stücken des über 2000 Stücke fassenden Öblarner Kostümfundus.
Zum Leben erweckt wird Brauchtum wie Tracht aber von den Einheimischen selbst, allesamt Laiendarsteller mit Begeisterung. Wie in Groggers Stück bilden sie einen Querschnitt der Bevölkerung; Bürgermeister Franz Zach ist als Zweiter Jäger mit dabei, Musiklehrer Walter Greimeister mimt den gestrengen Schulmeister. Auch die jüngste Einwohnerin Emma – Enkelin des Bürgermeisters und
Agerade einmal ein Monat alt – hat einen kurzen Auftritt.
„Wir wollen das Publikum in den wunderschönen barocken Bilderbogen entführen, den Paula Grogger gespannt hat“, führt der junge Spielleiter Bernhard Wohlfahrter (21) aus. „Das Stück an sich ist sehr zeitlos, es geht um Dinge, die die Menschen immer berührt haben: Der Generationenkonflikt, die Liebe oder die Spannung zwischen Arm und Reich.“„Die Hochzeit“ist aber auch eine Liebeserklärung der Öblarner Dichterin an die (ober-)steirische Seele und das in unverfälschter Dialektsprache. Demgemäß hat Grogger testamentarisch festgelegt, dass am Text nicht gekürzt wird. as resultiert für Schauspieler wie Zuschauer in mehr als drei Stunden Spieldauer, für die man aber nicht erst amende reich belohnt wird: Der Nachtwächter (wunderschön intoniert von Johannes Schweiger) löscht singend mit den Worten „Das Spiel is vorbei wia die alte Zeit, der Hammer hat die Stund geschlagn“das Licht. Und die Glocke im Turm ertönt zum letzten Mal.
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