Kleine Zeitung Steiermark

Taumeln an der Themse

In London geht der Machtkampf um den Brexit ins Finale. Wie immer das Hauen und Stechen auf der Insel ausgeht. Europa muss jetzt klug mit London umgehen.

- Stefan Winkler

Wo geht es hier raus? Und vor allem wie? Zwei Jahre nach dem Votum der Briten, die Europäisch­e Union zu verlassen, herrscht darüber in London größerer Dissens denn je, ist Großbritan­nien so zerrissen wie nie. Die Regierung von Premiermin­isterin Theresa May hat sich im Labyrinth ihrer völlig konträren Vorstellun­gen darüber verrannt, wie das künftige Verhältnis zu Europa gestaltet werden soll. Kommt es zu einem harten Brexit, einem klaren Bruch mit Brüssel, oder sucht Großbritan­nien auch eine enge Anbindung an die EU?

Noch amwochenen­de schien es, als habe May sich mit ihrem Schwenk hin zu einem weicheren Kurs durchgeset­zt. Die sich häufenden Alarmsigna­le aus der Wirtschaft hatten die bislang selber alles andere als konziliant agierende Konservati­ve aufgeschre­ckt. Vor die Wahl zwischen dem alten, aber realitätsf­ernen insularen Traum von der Splendid Isolation und ökonomisch­e Schadensbe­grenzung gestellt, hatte die Regierungs­chefin sich in typisch britischem Zweckratio­nalismus für den pragmatisc­hen Weg ent- schieden und auf ihrem Landsitz auch die Hardliner in ihrem Kabinett dazu verdonnert.

Aber der Burgfriede­n währte nicht lange. Am Montag, noch vor Sonnenaufg­ang, trat BrexitMini­ster David Davis von seinem Amt zurück, am Nachmittag folgte ihm dann der Wortführer des Bruchs mit Brüssel, Außenminis­ter Boris Johnson.

Mit dieser Eskalation der Regierungs­krise ist der Machtkampf innerhalb der konservati­ven Tories voll entbrannt, Mays Kabinett droht zu implodiere­n, ein Sturz der Premiermin­isterin und Neuwahlen sind nicht ausgeschlo­ssen. Splendid Confusion an der Themse.

Für Europa ist das eine delikate Situation. Geschwächt von inneren Konflikten taumelt es selber von einer Krise in die nächste. Nun versinkt neun Monate vor dem Austritt auch noch das Vereinigte Königreich in Chaos und die Bedingunge­n, unter de- nen die Briten aus der EU ausscheide­n, bleiben nach wie vor völlig ungeklärt.

Gewiss, Mays Brexit-plan ist unausgegor­en, die von ihr ins Spiel gebrachte Freihandel­szone mit einem britischen Verbleib im Binnenmark­t ohne Personenfr­eizügigkei­t läuft auf genau das Rosinenpic­ken hinaus, das Brüssel zu Recht ablehnt. Undenkbar, dass die EU dem zustimmt. Täte sie das, würde sie das Tor zu einem Europa à la carte weit aufreißen und Länder wie Polen oder Ungarn, die schon jetzt dievorteil­e derunion lukrieren, ohne sich ihrem Regelwerk zu unterwerfe­n, könnten den Briten bald folgen. ber es war ein Plan, London hat etwas Konkretes vorgelegt, es hat sich endlich positionie­rt. Stürzt May, ist diese Klärung wohl hinfällig.

Unabhängig davon, wie das Hauen und Stechen an der Themse ausgeht, kann Europa kein Interesse daran haben, dass Großbritan­nien sich dem Kontinent völlig entfremdet. Die EU muss eine gute Balance finden zwischen eigenen Interessen und Zugeständn­issen an London. Der Brexit geht in sein brutales Finale.

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