Taumeln an der Themse
In London geht der Machtkampf um den Brexit ins Finale. Wie immer das Hauen und Stechen auf der Insel ausgeht. Europa muss jetzt klug mit London umgehen.
Wo geht es hier raus? Und vor allem wie? Zwei Jahre nach dem Votum der Briten, die Europäische Union zu verlassen, herrscht darüber in London größerer Dissens denn je, ist Großbritannien so zerrissen wie nie. Die Regierung von Premierministerin Theresa May hat sich im Labyrinth ihrer völlig konträren Vorstellungen darüber verrannt, wie das künftige Verhältnis zu Europa gestaltet werden soll. Kommt es zu einem harten Brexit, einem klaren Bruch mit Brüssel, oder sucht Großbritannien auch eine enge Anbindung an die EU?
Noch amwochenende schien es, als habe May sich mit ihrem Schwenk hin zu einem weicheren Kurs durchgesetzt. Die sich häufenden Alarmsignale aus der Wirtschaft hatten die bislang selber alles andere als konziliant agierende Konservative aufgeschreckt. Vor die Wahl zwischen dem alten, aber realitätsfernen insularen Traum von der Splendid Isolation und ökonomische Schadensbegrenzung gestellt, hatte die Regierungschefin sich in typisch britischem Zweckrationalismus für den pragmatischen Weg ent- schieden und auf ihrem Landsitz auch die Hardliner in ihrem Kabinett dazu verdonnert.
Aber der Burgfrieden währte nicht lange. Am Montag, noch vor Sonnenaufgang, trat BrexitMinister David Davis von seinem Amt zurück, am Nachmittag folgte ihm dann der Wortführer des Bruchs mit Brüssel, Außenminister Boris Johnson.
Mit dieser Eskalation der Regierungskrise ist der Machtkampf innerhalb der konservativen Tories voll entbrannt, Mays Kabinett droht zu implodieren, ein Sturz der Premierministerin und Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Splendid Confusion an der Themse.
Für Europa ist das eine delikate Situation. Geschwächt von inneren Konflikten taumelt es selber von einer Krise in die nächste. Nun versinkt neun Monate vor dem Austritt auch noch das Vereinigte Königreich in Chaos und die Bedingungen, unter de- nen die Briten aus der EU ausscheiden, bleiben nach wie vor völlig ungeklärt.
Gewiss, Mays Brexit-plan ist unausgegoren, die von ihr ins Spiel gebrachte Freihandelszone mit einem britischen Verbleib im Binnenmarkt ohne Personenfreizügigkeit läuft auf genau das Rosinenpicken hinaus, das Brüssel zu Recht ablehnt. Undenkbar, dass die EU dem zustimmt. Täte sie das, würde sie das Tor zu einem Europa à la carte weit aufreißen und Länder wie Polen oder Ungarn, die schon jetzt dievorteile derunion lukrieren, ohne sich ihrem Regelwerk zu unterwerfen, könnten den Briten bald folgen. ber es war ein Plan, London hat etwas Konkretes vorgelegt, es hat sich endlich positioniert. Stürzt May, ist diese Klärung wohl hinfällig.
Unabhängig davon, wie das Hauen und Stechen an der Themse ausgeht, kann Europa kein Interesse daran haben, dass Großbritannien sich dem Kontinent völlig entfremdet. Die EU muss eine gute Balance finden zwischen eigenen Interessen und Zugeständnissen an London. Der Brexit geht in sein brutales Finale.
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