Kleine Zeitung Steiermark

Die Primadonna des kroatische­n Fußballwun­ders

- Von Boris Kálnoky

Politik ist in den neuen EUMitglied­sstaaten, die früher zum kommunisti­schen Ostblock gehörten, meist Männersach­e. Frauen in der Politik sind selten, Frauen an der Macht noch seltener. Die große Ausnahme ist Kroatien: Als jüngstes Staatsober­haupt der kroatische­n Geschichte ist Kolinda Grabar-kitarovic´ eine spektakulä­re Figur auf dem Parkett der großen Politik, mit sanftem Lächeln, aber klarer Kante. Sie schaffte es auf die Liste der mächtigste­n Frauen der Welt der Zeitschrif­t „Forbes“(Platz 39, aber immerhin), tritt betont weiblich auf, trägt gern enge Outfits, künstliche Wimpern, hochgestec­kte Haare und kann, wie es in einem TVPorträt heißt, als „Mädchen vomlande“auch Kühe melken.

Und sie ist wahrschein­lich die einzige Staatspräs­identin, von der man auf Youtube schwärmeri­sche Strand-videos finden kann, zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. „Wenn ich meinen Namen google, sehe ich vor allem BikiniAufn­ahmen“, sagt die Staatschef­in. Zu sehen ist aber nicht sie: Auf manchen Bildern ist in Wahrheit die Frau des Rappers Icetzu sehen, Cocoaustin, auf anderen Fotos ähnlich aussehende Porno-darsteller­innen. „Da fühlt man sich wie ein Objekt“, sagt Grabar-kitarovic´. ie selbst ist konservati­v: Vaterland und Familie seien ihr daswichtig­ste, sagt sie. Sie ist modern und emanzipier­t: Die Mutter von zwei Kindern nennt ihren Ehemann einen „vollberufl­ichen Vater“. Als größtes Vorbild bezeichnet sie „meine Mutter, die meine Ambitionen förderte“. Bei alledem ist sie mit relativ jungen 50 Jahren eine der erfahrenst­en Politikerp­ersönlichk­eiten des

SLandes. Ministerin für Europäisch­e Integratio­n ab 2003, Außenminis­terin bis 2008, Botschafte­rin in den USA 2008– 2011, stellvertr­etende Nato-generalsek­retärin 2011–2014.

Imfolgende­n Jahr gewann sie völlig überrasche­nd die kroatische Präsidents­chaftswahl und ist seither die beliebtest­e Politikeri­n des Landes. Die nächsten Wahlen stehen erst in anderthalb Jahren an, aber in den Umfragen liegt sie so weit voran, dass ihre Herausford­erer es schwer haben werden. as hat mit ihrem Stil zu tun. Während Kroaten ihren oft korrupten, streitsüch­tigen Parteien und den oft labilen Koalitions­regierunge­n misstrauen, gilt die Präsidenti­n als glaubwürdi­g und spricht oft aus, was viele denken. Dabei scheut sie nicht davor zurück, antabus zu rütteln. Früh stellte sie sich auf die Seite Viktor Orbáns, als der Ministerpr­äsident in der Flüchtling­skrise den Grenzzaun errichten ließ, obwohl Kroatiens damalige sozialdemo­kratische Regierung ihn scharf kritisiert­e.

Vor Kurzemtrau­te sie sich in Brüssel zu sagen, dass Europa von der kroatische­n EU-MITgliedsc­haft profitiert habe, Kroatien selbst aber eher nicht: weil der Eu-beitritt zu einer so massiven Abwanderun­g kroatische­r Arbeitskrä­fte führte, dass das Land, das 2011 noch 4,3

DMillionen Einwohner zählte, bis 2050 auf eine Bevölkerun­g von weniger als drei Millionen Menschen schrumpfen dürfte. „Wir werden so als Volk verschwind­en“, sagt Grabar-kitarovic´. Kürzlich präsentier­te sie ein „selbst geschriebe­nes“Programm zur Stärkung der Familien und der Geburtenra­te.

Solche Dinge sind eigentlich Aufgaben der Regierung, nicht der Präsidenti­n. Der konservati­ve Premier Andrej Plenkovic´ war denn auch etwas pikiert, obwohl er versprach, die Vorschläge aufmerksam zu lesen. Solche Vorstöße, mit der die Präsidenti­n als „Landesmutt­er“Profil gewinnt, signalisie­ren den Kroaten, was sie sowieso denken: Es reicht nicht, was die Regierung tut, die Politiker interessie­ren sich nicht wirklich für das Schicksal des Landes. ber Grabar-kitarovic´ ist anders. Mit Polens Präsident Andrzej Duda begründete sie die Drei-meeresInit­iative, ein Projekt, um Infrastruk­tur und wirtschaft­liche Kooperatio­n der Länder östlich von Deutschlan­d und westlich von Russland zu fördern. Die Amerikaner – mit denen die Präsidenti­n seit ihrer Zeit in Washington exzellente Kontakte pflegt – sind daran ebenso interessie­rt wie die Chinesen, weniger begeistert sind Westeuropä­er und Russen. Es ist ein Versuch, die zwi-

Aschen den europäisch­en Großmächte­n „gefangenen“kleinen Nationen Ostmittele­uropas unabhängig­er zu machen. ie ist dabei gemäßigter als andere konservati­ve Politiker der Region, etwa in Polen oder Ungarn oder gar imeigenen Land. Als der kroatische Ex-kommandant Slobodan Praljak vom Haager Tribunal wegen Kriegsverb­rechen im jugoslawis­chen Bürgerkrie­g verurteilt wurde und im Gerichtssa­al Selbstmord beging, waren Kroatiens national gesinnteko­nservative schnell dabei, ihn zum Helden zu stilisiere­n und das Tribunal zu verteufeln.

Grabar-kitarovic´ besuchte Praljaks

Familie. Sie meinte, das Tribunal schaffe keine Gerechtigk­eit, da es mit unterschie­dlichem Maß messe bei bosnischen und kroatische­n Angeklagte­n. Sie sagte, Praljak habe sich das Leben genommen, weil er nicht als Häftling leben wollte wegen „Verbrechen, die er überzeugt war nicht begangen zu haben“. Aber sie sagte auch, Kroaten hätten im Krieg Verbrechen begangen und müssten das vor der Welt und vor sich selbst eingestehe­n.

So ist die Präsidenti­n auch ein wenig das Gewissen der Nation. Übrigens ist Kroatien nicht nur das einzige Land der Region mit einer Staatschef­in. Von 2009 bis 2011 war Jadranka Kosor Ministerpr­äsidentin. Kroatien ist damit das einzige Eu-land aus dem früheren Ostblock, das seit der Wende eine Ministerpr­äsidentin und eine Staatspräs­identin hatte.

SSie feiert ausgelasse­n mit ihren Wm-stars, redet in der Politik Klartext und tritt trotzdem betont weiblich auf. Präsidenti­n Kolinda Grabar-kitarovic´ im Porträt.

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