Kleine Zeitung Steiermark

Auf dem Feld der Star, im Alltag im Abseits

- Von Norbert Mappes-niediek

stacheln zu Nationalis­mus auf, sagen die einen. Im Gegenteil, sagen die anderen: Sie lenken chauvinist­ischen Überschwan­g in harmlose Bahnen. Mit Kroatiens Finaleinzu­g bei der Weltmeiste­rschaft in Russland macht jetzt eher die letztere Fraktion ihren Punkt: Das ganze Land feiert sich befreit und ausgelasse­n – wie um sich zu erholen von den Problemen, der Scham, dem Ärger über seinen tristen Alltag und seine korrupten Politiker. Politik ist kein Thema mehr in den Innenstädt­en, die sich in riesige Public-viewing-plätze verwandelt haben. Vereinzelt­e Fans, die Hasstirade­n anstimmen, werden ignoriert. Der Jubel übertönt alles. Die härtesten Regierungs­gegner posieren auf Facebook stolz im Schachbret­tTrikot. Dass in den Straßen auch die Lieder des rechtsradi­kalen Sängers Thompson angestimmt werden, dass hier und da hässliche Symbole auftauchen wie das beziehungs­reiche „U“für die faschistis­che Ustascha-bewegung oder die Flagge des Nazi-staates im Zweitenwel­tkrieg – alles das ist in Kroatien inzwischen Alltagskul­tur, wird von der Jugend oft kaum noch als politisch wahrgenomm­en. sind Fußball und Politik im jüngsten Eu-land eng – und unschön – miteinande­r verbunden. Nur eine Woche vordemwm-eröffnungs­spiel in Moskau wurde der starke Mann des kroatische­n Fußballs, Zdravko Mamic´, von einem Zagreber Gericht zu sechseinha­lb Jahren Gefängnis verurteilt. Der ExPräsiden­t von Dinamo Zagreb und Vize des kroatische­n Fußballver­bands, für seine Brutalität berüchtigt, hatte ausgerechn­et beim Transfer der beiden Superstars Luka

Kroatien kann ein Erfolgserl­ebnis dringend gebrauchen. Das Land hat gewaltige Probleme. Immer mehr Junge kehren ihm den Rücken.

Modric´ und Dejan Lovren 15 Millionen Euro abgezweigt. Modric´ steht wegen Falschauss­age schon unter Anklage, Lovren immerhin unter Verdacht.

es um Geld und Fußball geht, ist die Politik nicht weit: Präsidenti­n Kolinda Grabar Kitarovic´, die so fröhlich mit ihren „Vatreni“, den „Feurigen“, feiert, ließ sich vom zwielichti­genmamic´ imwahlkamp­f finanziere­n und sogar eine Geburtstag­sfeier ausrichten. Als die Kommission für Interessen­konflikte den Fall untersucht­e, warf die nervös gewordene Präsidenti­n deren Leiterin vor, sie führe einen „Privatkrie­g“gegen sie.

Ein nationales Erfolgserl­ebnis in Russland können die Kroaten gut gebrauchen. Allein im Vorjahr haben 90.000 Menschen dem Land Lebewohl gesagt – mehr als in Kroatiens fünftgrößt­er Stadt wohnen. Ohne Parteibezi­ehungen haben junge Leute kaumeine Chance, imberuf Fuß zu fassen. Kein Jahr vergeht ohne großen Korruption­sskandal. Der letzte dreht sichumden Konzern Agrokor des Tycoons Ivica Todoric´, der mit 6,5 Milliarden Euro verschulde­t ist – mehr als ein Drittel des Staatshaus­halts. In die Affäre sind etliche Politiker verwickelt.

einem Schachbret­t, wie die Nationalfl­agge es zeigt, hat die politische Szene Kroatiens keine Ähnlichkei­t – mehr mit einem Boxring. Die Regierungs­partei HDZ versteht sich als Avantgarde des Volkes, trägt permanent internekon­flikte aus und hat sichweit nach rechts geöffnet. Auch internatio­nal sind alle Ambitionen des Landes enttäuscht worden. In der EU hat sich Zagreb seit dem Beitritt vor fünf Jahren noch nicht bemerkbar gemacht – außer durch einen kleinliche­n Konflikt mit dem Nachbarn Slowenien um die Seegrenze in der Adria.

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Die kroatische Staatspräs­identin Kolinda Grabar-kitarovic´ EXPA

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