Stadt der Träume und der Albträume
Ein Buch über die untergegangenewelt des deutsch-jüdischen Jerusalem.
„Grunewald im Orient“erweckt Thomas Sparr die reale und geistige Existenz der „Jeckes“, der elegante Kostüme sowie Krawatten und Anzug tragenden Jüdinnen und Juden aus Deutschland, zum Leben, die in den 1920er- und 30er-jahren Jerusalem als Sehnsuchtsort oder erzwungenes Exil gegen dasweimar, Frankfurt, München und Berlin ihrer Herkunft tauschten. Zum Schmelztiegel dieser Kultur und zur „preußischen Insel immeer des Orients“(David Kroyanker) wurde der Stadtteil Rechavia, der vomarchitektenrichard Kauffmann als Gartenstadt nach europäischem Muster entworfen und im Bauhausstil errichtet wordenwar. Die vielfältige, auch vielfältig gebrochene „innere Geografie“dieses in Gitterlinien am Reißbrett entworfenenviertels spiegelt sich inzahllosenbüchernund Briefen, Fotografien und Erinnerungszeugnissen wider. Einige der Lebenslinien, die sich in diesem „neuen Jerusalem“kreuzten, zeichnet Sparr mit dosierter Empathie nach. Etwa die unerwiderte Liebe, die die Dichterin Else Lasker-schüler für den um dreißig Jahre jüngeren Pädagogen Ernst Simonempfand, demsie unzählige Briefe schrieb und Gedichte widmete. Nachdem Simon von ihr 1943 den Gedichtband „Mein blaues Klavier“erhalten hatte, antwortete er Lasker-schüler: „Es wird immer mein großerruhmsein, als Anlaß zu den herrlichsten Gedichten gedient zu haben.“
Während die beiden jüdischen Geistesgrößen Martin Buber und Gershom Scholem, die an der neu gegründeten Hebräischen Universität in Rechavia lehrten, mit ihren philosophischen und religionswissenschaftlichenwerken den Zivilisationsbruch durch den Nationalsozialismus überbrückten, gehörte die Schriftstellerin Mascha Kaléko zu jenenmenschen, die erst nach 1945 nach Jerusalem kamen, aber dort, nach allem, was geschehen war, nicht mehr heimisch werden konnten. Von ihr stammt eine Beschreibung, die andeutet, wie stark das deutsch-jüdische Erbe in die Fundamente desneuenstaates Einganggefunden haben mag: „Rechavia – das ist das ‚vierte Reich‘, sozusagen, wo die deutschen Emigranten sich zu Israelis wandelten …“Matthias Opis Thomas Sparr: Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem. Berenberg.
184 Seiten. 22,60 Euro.