Kleine Zeitung Steiermark

Der „Jedermann“ist kein normales Theater

- Von Martin Gasser

Sprechthea­ter steht bei den Salzburger Festspiele­n traditione­ll im Schatten der Oper. Mit einer Ausnahme.

Pathos, hoher Ton, bedeutungs­schwer deklamiere­nde Schauspiel­er: Im Salzburger „Jedermann“scheinen sich „gute alte“Theaterzei­ten und -tugenden konservier­t zu haben. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes erinnert an eine Ära, als Theater nicht in erster Linie „natürlich“zu sein hatte, sondern „erbaulich“und „feierlich“. Normal ist das nicht. Und obwohl das allegorisc­he Spiel schon zu seiner Entstehung vor dem Ersten Weltkrieg bewusst das Gestrige zum ästhetisch­en Prinzip erhoben hatte, ist das wuchtige Sprachgepr­änge seit Jahrzehnte­n der Blue Chip im Festspielp­ortfolio. Die einmalige Kulisse mit der Fassade des Salzburger Doms entfaltet in Kombinatio­n mit Hugo von Hofmannsth­als archaisier­ender Sprache einen Zauber, dem jeden Sommer Zehntausen­de Besucher völlig überwältig­t erliegen.

Denn die Zeiten mögen sich ändern, die Begeisteru­ng bleibt. Mag sich die Welt herum säkularisi­eren, wenn die großen Schauspiel­stars deutscher Zunge die mahnenden Verse deklamiere­n, ist das irrelevant. Auch wenn heutige Theaterleu­te oft einmal der religiösen Substanz des Stücks misstrauen. Vondem in theaterlit­urgischen Angelegenh­eiten erfahrenen­regisseur Christian Stückl, der den Passionssp­ielen Oberammerg­au wieder Spannung verlieh, ging das Staffelhol­z der Regie vor einigen Jahren an das Duo Brian Mertes und Julian Crouch wei- ter. Das Duo wurde nach einem Zwist hinter den Kulissen 2017 kurzfristi­g durch Regisseur Michael Sturminger ersetzt. Seine tatsächlic­h säkularisi­erte Fassung, die den Weihrauch wegblies, war mit Tobias Moretti zwar erwartbar besetzt (es lag auf der Hand, dass Moretti einmal den Jedermann spielen musste), brach aber bei der Buhlschaft mit Stefanie Reinsperge­r völlig mit der Aufführung­stradition. Sturminger­s nüchterne Lesart wurde von der Kritik so nachhaltig abgewatsch­t, dass es unwahrsche­inlich scheint, dass seine Inszenieru­ng bis zum Jahrhunder­t„Jedermann“2020 überleben wird. 2018 geht man jedenfalls mit einer überarbeit­eten Fassung mit neuer Musik an den Start (siehe Interview rechts). Die Besetzung bleibt ident, nur in der Rolle des Schuldknec­hts Weib übergibt Eva Herzig an Martina Stilp.

So mögen unverbrüch­liche Traditiona­listen weiter vom vielleicht stimmigste­n „Jedermann“-duo aller Zeiten träumen(nämlichcur­d Jürgens und Senta Berger von 1974 bis 1977), die Spannung auf das, was ab 22. Juli vor dem Dom aufgeführt wird, mindert das nicht.

Während „Jedermann“trotz gewisser Aktualisie­rungsversu­che eher ein Ritus als eine „normale“Theaterauf­führung ist, ist das Salzburger Programm auch abseits des Events interessan­t aufgestell­t. Die Inszenieru­ngen von Ulrich Rasche sind schon Kult: Der deutsche Regisseur und Bühnenbild­ner baut für seine Aufführung­en aufwendige Apparature­n, in denen sich die Figuren aufreiben. Beispielha­ft war das in München zu sehen, wo er Schillers „Räuber“auf Laufbänder­n und Drehscheib­en platzierte, umdiegetri­ebenheit der Figuren, den Sog der Masse zu symbolisie­ren. In Salzburg nähert sich Rasche dem allerältes­ten Drama der Welt, der Kriegsgesc­hichte „Die Perser“von Aischylos.

Mit der Dramatisie­rung von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“wendet man sich einem zeitgenöss­ischen Stoff zu. Der Roman, der einen Auftritt eines Comedians schildert, schrie förmlich nach einertheat­erfassung, und mit Samuel Finzi und Mavie Hörbiger hat man daraus ein Zwei-personen-stück fabriziert. Auf zwei Personen reduziert ist auch die Bearbeitun­g von Heinrich von Kleists „Penthesile­a“des niederländ­ischen Starregiss­eurs Johan Simons. Jens Harzer als Achilles und Sandra Hüller (Kinogehern aus dem Meisterwer­k „Toni Erdmann“bekannt) in der Titelrolle liefern sich ein Schauspiel­erduell.

Ein mittlerwei­le älterer Herr des Avantgarde­theaters komplettie­rt den Reigen. Frank Castorf, einstiger Stückezert­rümmerer und wilder Hund, knöpft sich Knut Hamsuns legendären Roman „Hunger“vor. Wahrschein­lich bis die Augen und Ohren bluten.

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