Der „Jedermann“ist kein normales Theater
Sprechtheater steht bei den Salzburger Festspielen traditionell im Schatten der Oper. Mit einer Ausnahme.
Pathos, hoher Ton, bedeutungsschwer deklamierende Schauspieler: Im Salzburger „Jedermann“scheinen sich „gute alte“Theaterzeiten und -tugenden konserviert zu haben. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes erinnert an eine Ära, als Theater nicht in erster Linie „natürlich“zu sein hatte, sondern „erbaulich“und „feierlich“. Normal ist das nicht. Und obwohl das allegorische Spiel schon zu seiner Entstehung vor dem Ersten Weltkrieg bewusst das Gestrige zum ästhetischen Prinzip erhoben hatte, ist das wuchtige Sprachgepränge seit Jahrzehnten der Blue Chip im Festspielportfolio. Die einmalige Kulisse mit der Fassade des Salzburger Doms entfaltet in Kombination mit Hugo von Hofmannsthals archaisierender Sprache einen Zauber, dem jeden Sommer Zehntausende Besucher völlig überwältigt erliegen.
Denn die Zeiten mögen sich ändern, die Begeisterung bleibt. Mag sich die Welt herum säkularisieren, wenn die großen Schauspielstars deutscher Zunge die mahnenden Verse deklamieren, ist das irrelevant. Auch wenn heutige Theaterleute oft einmal der religiösen Substanz des Stücks misstrauen. Vondem in theaterliturgischen Angelegenheiten erfahrenenregisseur Christian Stückl, der den Passionsspielen Oberammergau wieder Spannung verlieh, ging das Staffelholz der Regie vor einigen Jahren an das Duo Brian Mertes und Julian Crouch wei- ter. Das Duo wurde nach einem Zwist hinter den Kulissen 2017 kurzfristig durch Regisseur Michael Sturminger ersetzt. Seine tatsächlich säkularisierte Fassung, die den Weihrauch wegblies, war mit Tobias Moretti zwar erwartbar besetzt (es lag auf der Hand, dass Moretti einmal den Jedermann spielen musste), brach aber bei der Buhlschaft mit Stefanie Reinsperger völlig mit der Aufführungstradition. Sturmingers nüchterne Lesart wurde von der Kritik so nachhaltig abgewatscht, dass es unwahrscheinlich scheint, dass seine Inszenierung bis zum Jahrhundert„Jedermann“2020 überleben wird. 2018 geht man jedenfalls mit einer überarbeiteten Fassung mit neuer Musik an den Start (siehe Interview rechts). Die Besetzung bleibt ident, nur in der Rolle des Schuldknechts Weib übergibt Eva Herzig an Martina Stilp.
So mögen unverbrüchliche Traditionalisten weiter vom vielleicht stimmigsten „Jedermann“-duo aller Zeiten träumen(nämlichcurd Jürgens und Senta Berger von 1974 bis 1977), die Spannung auf das, was ab 22. Juli vor dem Dom aufgeführt wird, mindert das nicht.
Während „Jedermann“trotz gewisser Aktualisierungsversuche eher ein Ritus als eine „normale“Theateraufführung ist, ist das Salzburger Programm auch abseits des Events interessant aufgestellt. Die Inszenierungen von Ulrich Rasche sind schon Kult: Der deutsche Regisseur und Bühnenbildner baut für seine Aufführungen aufwendige Apparaturen, in denen sich die Figuren aufreiben. Beispielhaft war das in München zu sehen, wo er Schillers „Räuber“auf Laufbändern und Drehscheiben platzierte, umdiegetriebenheit der Figuren, den Sog der Masse zu symbolisieren. In Salzburg nähert sich Rasche dem allerältesten Drama der Welt, der Kriegsgeschichte „Die Perser“von Aischylos.
Mit der Dramatisierung von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“wendet man sich einem zeitgenössischen Stoff zu. Der Roman, der einen Auftritt eines Comedians schildert, schrie förmlich nach einertheaterfassung, und mit Samuel Finzi und Mavie Hörbiger hat man daraus ein Zwei-personen-stück fabriziert. Auf zwei Personen reduziert ist auch die Bearbeitung von Heinrich von Kleists „Penthesilea“des niederländischen Starregisseurs Johan Simons. Jens Harzer als Achilles und Sandra Hüller (Kinogehern aus dem Meisterwerk „Toni Erdmann“bekannt) in der Titelrolle liefern sich ein Schauspielerduell.
Ein mittlerweile älterer Herr des Avantgardetheaters komplettiert den Reigen. Frank Castorf, einstiger Stückezertrümmerer und wilder Hund, knöpft sich Knut Hamsuns legendären Roman „Hunger“vor. Wahrscheinlich bis die Augen und Ohren bluten.