Logik einer Koalition
Elf Stunden nach der in der ZIB 2 publik gewordenen, ungewöhnlich heftigen Doppelkritik von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in den „Vorarlberger Nachrichten“, wonach Fpö-generalsekretär Harald Vilimsky mit seinen „unflätigen“Bemerkungen über Kommissionspräsident Jean-claude Juncker „dem Ansehen Österreichs geschadet“habe bzw. die Bundesregierung durch ihr Schweigen dem Land keinen guten Dienst erwiesen habe: Um 9.05 Uhr startet ein lange vereinbartes Sommerinterview mitwirtschaftsministerinmargareteschramböck in den weitläufigen Räumlichkeiten des ehemaligen Kriegsministeriums am Stubenring. Die Tour d’horizon führt von den digitalen Herausforderungen für Ältere über einen möglichen nationalen Alleingang bei der Google-steuer, den drohenden Handelskrieg mit den USA bis hin zum Bleiberecht für Lehrlinge und den Unwägbarkeiten der Roboterisierung. Die Ministerin erweist sich als fachlich sattelfest, bei unange- nehmen Themen weicht sie gekonnt auf anderethemenfelder aus.
Gegen Ende des fast einstündigen Gesprächs folgt die unvermeidliche Frage, was sie denn von den Aussagen des Herrn Vilimsky über die angeblichetrunkenheit vonkommissionschef Juncker beim Brüsseler Nato-gipfel halte. Trotz xfacher Nachfrage legt sich die Tirolerin auf eine windelweiche Formulierung fest, die erst nach vierstündiger (!) ÖVP-INterner Feinabstimmung für die Veröffentlichung freigegeben wird. „Natürlich ist es nicht hilfreich, wenn wir nicht Sachpolitik machen. Wir arbeiten gut zusammenmit derkommission und dem Parlament, gerade jetzt während der Ratspräsidentschaft.“Imübrigengebees denaussagen des Övp-europaabgeordneten Othmar Karas nichts hinzuzufügen. „Karashat eindeutig reagiert als unservertreter in Brüssel.“
Tagsüber liefen gestern die Telefone heiß, zwischen Kalifornien, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz gerade weilt, dem Kanzleramt, den Parteizentralen und Bregenz, wo der Bundespräsident die Eröffnung der Festspiele vornahm. Zu Mittag holte Fpö-generalsekretär Christian Hafenecker zum wenig überraschenden Gegenschlag aus: „Wo war der Bundespräsident, als Gewerkschafter zum Sturz der Regierung aufgerufen haben, als die SPÖ vom Ständestaat gesprochen hat und die Regierung als Arbeiterverräter beschimpft wurde?“Van der Bellen möge seine „grüne Sommerbrille wieder abnehmen und zur notwendigen Ausgewogenheit zurückkehren“. Auf die Vorwürfe ging Hafenecker mitkeinersilbe ein. Und die ÖVP? Mit Ausnahme derwirtschaftsministerin hüllte man sich in Schweigen. Dem Vernehmen nach hatten Kurz und Vizekanzler Heinz-christian Strache amwochenende mehrfach in der Angelegenheit transatlantisch telefoniert. as Schweigegelübde, das sich die ÖVP zu freiheitlichen Ausrutschern auferlegt hat, stößt weithin auf Unverständnis, Kopfschütteln und Empörung. Erste Vergleiche mitwolfgang Schüssel machen bereits die Runde, der sich als „Schweigekanzler“einen Namen gemacht hatte. Das Stillhalten entspringt einer seltsamen Koalitionslogik, einem stillen Deal zwischen ÖVP und FPÖ, der da lautet: Wenn wir was am Koalitionspartner auszusetzen haben, dann machen wir es ausschließlich intern, nicht über diemedien. In der Hochphase dercausa Landbauer ließen sichövp-ministerzur redundant-unbefriedigenden Bemerkung hinreißen, Niederösterreichs Övp-landeshauptfrau Johanna Mikl-leitner habe „alles gesagt“, ihren Aussagen sei „nichts hinzuzufügen“.
Dem Schweigen liegt das Trauma zugrunde, dass man nicht wie Gusenbauer 1, Faymann2 oderkern 1 in Streit und Hader enden will. Vereinzelte Unmutsäußerungen in aller Öffentlichkeit hatten sich zu einemtsunamiaufgeschaukelt, der die jeweiligen Koalitionen schließlich und endlich hinweggespült haben. Besonders
Dausgeprägt ist die Angst, dass diemedien von koalitionsinternen Verstimmungenwind bekommen und den Konflikt genüsslich auswalzen. Wenn dennoch etwas nach außen dringt, wird beschwichtigt, abgewiegelt, geleugnet – bis gelogen.
Intern ist der Umgangston bisweilen durchaus ruppig. Nicht nur ein Mitarbeiter weiß von Anrufen zu berichten, die ohne Grußformel und mit der nicht gerade feinen Vorhaltung „Seidswo ang’rennt?“ihren Anfang nehmen. Dieses Klima der Angst dient dazu, dass alle auf Linie bleiben. So gesehen versteht sich Kurz eher als ein Hirtenhund, der seine Herde per-