Warum Özil nicht Opfer ist
Natürlich darf und soll man als Deutscher mit türkischenwurzeln diewelt seiner Ahnen achten und ehren. Aber vor einem Demokratie-gegner hat diese Loyalität haltzumachen.
Ein gekränkter junger Mann möchte nicht mehr für seine Mannschaft Fußball spielen und erzählt es klagend derwelt. Dieser banale Sachverhalt aus derwelt männlichen Gebärdens wäre nicht weiter von Belang, wäre das Spiel nur ein Spiel. Ist es aber nicht. Über das Spiel definiert sich das Wir-gefühl eines Landes. Es stiftet Identität oder macht diese brüchig. Es löst kollektives Hochgefühl aus oder stürzt ein Land in Ungemach.
Deutschland hat beides erlebt: das eine 2006 bei der WM zu Hause, das andere jetzt: Sommermärchen und Albtraum. Damals, 2006, stand die multikulturelle Nationalmannschaft gleichnishaft für das neue, weltoffene Deutschland. Ein Volk löste sich von den Klischees der Vergangenheit, feierte seine Buntheit und umarmte die Welt. Zwölf Jahre später hadert das Land mit sich selbst und lässt sich in eine Ich-krise fallen, wie das nur Deutschland mit dieser Hingabe vermag.
Auslöser ist der Misserfolg der Fußball-nationalmannschaft. Wieder ist sie Chiffre, diesmal nicht für das Heile und Zusammengewachsene der Ge- sellschaft, sondern für deren Brüche und Einrisse. Der Fall Mesut Özil hat sie schmerzhaft sichtbar gemacht. Die Unversöhnlichkeit, mit der darüber gestritten wird, gibt den Blick auf den Graben frei, den die Migrationsdebatte aufgerissen hat.
Mesut Özil, deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, hat sich mitten im Wahlkampf mit dem Autokraten Recep Erdogan˘ ablichten lassen.
Die Fans reagierten ungehalten und pfiffen von den Rängen. Die Pfiffe waren erzieherisch, keine Gehässigkeit. Die Anhänger verlangten, dass sich der Spieler erkläre. Das hat er nicht getan. Das war ein Fehler.
Mesut Özil hätte sich als deutscher Staatsbürger und Nationalspieler nicht für politische Propaganda eines Despoten missbrauchen lassen dürfen. Und: Er hätte nicht schweigen dürfen, als er mit der Irritation der Mitbürger konfrontiertwar.
Dass Özil, wie er sagte, zwei Herzen in der Brust trage, ist nichts Verwerfliches. Man wird niemandem den Respekt vor der Herkunftswelt seiner Ahnen zur Last legen. Wer es tut, schürt Feindseligkeit. Was man Özil vorhalten muss: dass er seine doppelte Loyalität auf die Politik übertrug. Wenn er schon mitdem„respekt vordemland meiner Mutter“argumentiert, wo bleibt der Respekt vor den Opfern Erdogans,˘ die zu Tausenden weggesperrt wurden? Vor allem: Wo bleibt der Respekt vor den Grundwerten seines Landes, für das er spielt, und das solcheverstöße ächtet? iese Schieflage imdenken und Reden hatmesut Özil nicht begriffen. Er fühlt sich als Opfer, als ungewollt. Wenn er ein Opfer ist, dann seiner Naivität und des deutschen Verbandes, der ihn nicht rechtzeitig aus dieser Unbedarftheit befreit hat. Schaden nimmt das Land. Özils Rücktritt werden viele junge Deutsche türkischer Abstammung als Einladung missverstehen, sich auch als ungewollt zu sehen. Das ist eine Niederlage für Deutschland, folgenschwerer als das Ausscheiden in Russland.
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