„Kurzistaufeinanderes Gleis abgebogen“
Christian Konrad war als RaiffeisenGeneralanwalt einer der mächtigsten Männer der Republik. Nun ist er 75 Jahre alt geworden. Im Gespräch geht er auf seine Entfremdung von Parteifreund Kurz ein.
Gesellschaft, einer schrumpfendenwirtschaft. Es ist unverständlich, wenn jemand sagt, wir brauchen keinen Zuzug. Wir brauchen den Zuzug, allerdings einen geordneten.
Verstehen Sie Ihren Verein als Gegenentwurf zur Regierung?
Wir machen das nicht gegen die Politik, sondern für die Gesellschaft. Leider macht die öffentliche Meinung die Sache oft schwierig.
Warum ist sie so, wie sie ist?
Das sind Ängste, die durch die Bilder des Jahres 2015 ausgelöst wurden. Der Ansturm und die Politiker, die mit Tränen in den Augen davorgestanden sind. Ich sehe es tagtäglich. Menschen, die Kontakt mit Schutzsuchenden haben, haben weniger Ängste als jene, die noch nie einen gesehen haben.
Sind die Ängste unbegründet?
Das würde ich nicht so sagen. Es gibt natürlich Probleme, ich bin ja nicht naiv. Die Politik nimmt die Ängste auf und verstärkt sie, statt zu argumentieren.
Setzt die Regierung Schwerpunkte?
Wenn ich höre, dass die Mittel für die Arbeitsmarktförderung und die Deutschkurse gestrichen werden: Das ist schwer kontraproduktiv. Junge Leute, die eine Lehre absolvieren, abzuschieben, damit wir irgendeine Statistik aufbessern können, ist Unsinn. Die Vorschläge in der Sozialpolitik sind teils haarsträubend. Wir sind ein gut organisierter Sozialstaat seit Kreisky, auch von der ÖVP mitgetragen, finanziert. Wenn ich höre, wir haben das Geld nicht für die Familienbeihilfe, wenn die Kinder im Ausland leben, muss ich sagen: Das sind alles Leute, die wir dringend für den Sozial- und Pflegebereich brauchen. Ohne die ausländischen Seniorenpfleger wäre die Gesellschaft in einem erbärmlichen Zustand. Da wird der Neidkomplex geschürt. Da wird von Familien geredet, die 3000 Euro Notstandshilfe bekommen, und dann stellt sich heraus, es sind zehn Fälle. Ich verstehe denunmut: Wenn jemand drei Jahre auf den Abschluss seines Verfahrens warten muss und nicht arbeiten darf, kommt mancher auf schlechte Ideen. Wenn die Jugendlichen nicht in die Schule gehen dürfen, sitzen sie im Park herum und tun nichts.
Die Solidarität zwischen den Eu-staaten ist aber auch enden wollend?
Die Visegrád-staaten profitieren wirtschaftlich von Europa, sind aber in keiner Weise solidarisch. Und Italien lässt man schändlich im Stich. Da fehlt es an gutem Willen, auch bei dem Flüchtlingsschiff, das die Italiener erst in den Hafen gelassen haben, als andere Staaten je 50 Leute übernommen haben.
Österreich hat sich quergelegt mit dem Hinweis, wir haben 2015 genug Leute aufgenommen.
Ich dachte, unser Bundeskanzler ist derzeit der Ratsvorsitzende. Wenn es um eine Solidaritätsaktion geht, hätte ich als Ratsvorsitzender gesagt: Wir haben zwar viel mehr als alle anderen aufgenommen, aber wir nehmen zumindest zehn Leute.
Die FPÖ hätte gewirbelt?
Entschuldigung, dieövpist mit der FPÖ beim Rauchverbot mitgegangen. Wegen zehn Menschen? Das kann es nicht sein.
Es geht um die Symbolik?
Das ist lächerlich, wegen zehn Personen.
Sie gehören derselben politischen Familie an wie Kurz, sind ähnlich sozialisiert und ebenso praktizierender Katholik. Wie geht es Ihnen mit dem Kanzler?
Wir haben uns sehr gut vertragen. Ich habe ihn von Beginn an sehr gemocht. Irgendwann einmal ist er in der Flüchtlingsfrage auf ein anderes Gleis abgebogen. Das hat dazu geführt, dass unser Verhältnis schwieriger