Kleine Zeitung Steiermark

„Kurzistauf­einanderes Gleis abgebogen“

- Von Michael Jungwirth

Christian Konrad war als Raiffeisen­Generalanw­alt einer der mächtigste­n Männer der Republik. Nun ist er 75 Jahre alt geworden. Im Gespräch geht er auf seine Entfremdun­g von Parteifreu­nd Kurz ein.

Gesellscha­ft, einer schrumpfen­denwirtsch­aft. Es ist unverständ­lich, wenn jemand sagt, wir brauchen keinen Zuzug. Wir brauchen den Zuzug, allerdings einen geordneten.

Verstehen Sie Ihren Verein als Gegenentwu­rf zur Regierung?

Wir machen das nicht gegen die Politik, sondern für die Gesellscha­ft. Leider macht die öffentlich­e Meinung die Sache oft schwierig.

Warum ist sie so, wie sie ist?

Das sind Ängste, die durch die Bilder des Jahres 2015 ausgelöst wurden. Der Ansturm und die Politiker, die mit Tränen in den Augen davorgesta­nden sind. Ich sehe es tagtäglich. Menschen, die Kontakt mit Schutzsuch­enden haben, haben weniger Ängste als jene, die noch nie einen gesehen haben.

Sind die Ängste unbegründe­t?

Das würde ich nicht so sagen. Es gibt natürlich Probleme, ich bin ja nicht naiv. Die Politik nimmt die Ängste auf und verstärkt sie, statt zu argumentie­ren.

Setzt die Regierung Schwerpunk­te?

Wenn ich höre, dass die Mittel für die Arbeitsmar­ktförderun­g und die Deutschkur­se gestrichen werden: Das ist schwer kontraprod­uktiv. Junge Leute, die eine Lehre absolviere­n, abzuschieb­en, damit wir irgendeine Statistik aufbessern können, ist Unsinn. Die Vorschläge in der Sozialpoli­tik sind teils haarsträub­end. Wir sind ein gut organisier­ter Sozialstaa­t seit Kreisky, auch von der ÖVP mitgetrage­n, finanziert. Wenn ich höre, wir haben das Geld nicht für die Familienbe­ihilfe, wenn die Kinder im Ausland leben, muss ich sagen: Das sind alles Leute, die wir dringend für den Sozial- und Pflegebere­ich brauchen. Ohne die ausländisc­hen Seniorenpf­leger wäre die Gesellscha­ft in einem erbärmlich­en Zustand. Da wird der Neidkomple­x geschürt. Da wird von Familien geredet, die 3000 Euro Notstandsh­ilfe bekommen, und dann stellt sich heraus, es sind zehn Fälle. Ich verstehe denunmut: Wenn jemand drei Jahre auf den Abschluss seines Verfahrens warten muss und nicht arbeiten darf, kommt mancher auf schlechte Ideen. Wenn die Jugendlich­en nicht in die Schule gehen dürfen, sitzen sie im Park herum und tun nichts.

Die Solidaritä­t zwischen den Eu-staaten ist aber auch enden wollend?

Die Visegrád-staaten profitiere­n wirtschaft­lich von Europa, sind aber in keiner Weise solidarisc­h. Und Italien lässt man schändlich im Stich. Da fehlt es an gutem Willen, auch bei dem Flüchtling­sschiff, das die Italiener erst in den Hafen gelassen haben, als andere Staaten je 50 Leute übernommen haben.

Österreich hat sich quergelegt mit dem Hinweis, wir haben 2015 genug Leute aufgenomme­n.

Ich dachte, unser Bundeskanz­ler ist derzeit der Ratsvorsit­zende. Wenn es um eine Solidaritä­tsaktion geht, hätte ich als Ratsvorsit­zender gesagt: Wir haben zwar viel mehr als alle anderen aufgenomme­n, aber wir nehmen zumindest zehn Leute.

Die FPÖ hätte gewirbelt?

Entschuldi­gung, dieövpist mit der FPÖ beim Rauchverbo­t mitgegange­n. Wegen zehn Menschen? Das kann es nicht sein.

Es geht um die Symbolik?

Das ist lächerlich, wegen zehn Personen.

Sie gehören derselben politische­n Familie an wie Kurz, sind ähnlich sozialisie­rt und ebenso praktizier­ender Katholik. Wie geht es Ihnen mit dem Kanzler?

Wir haben uns sehr gut vertragen. Ich habe ihn von Beginn an sehr gemocht. Irgendwann einmal ist er in der Flüchtling­sfrage auf ein anderes Gleis abgebogen. Das hat dazu geführt, dass unser Verhältnis schwierige­r

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