Maturaaufsatz-ethik
Philipp Blom brachte in seiner Salzburger Rede das „riskante Denken“der Aufklärung gegen die Dogmen der Gegenwart in Stellung. Risiko gegen sich selbst nahm er nicht.
Die politische Windstille lädt dazu ein, sich noch einmal auf Philipp Bloms Salzburg-rede einzulassen. Der angesehene Historiker zeichnete ein trübes Bild vom Zustand westlicher Gesellschaften. Er malte sie als gefräßige Gebilde, ängstlich darauf bedacht, den Reichtum gegen die Sehnsüchte Fremder zu verteidigen. Der Freiheitswille sei verkommen zur Wahlfreiheit zwischen Produkten der Konsumwelt. Die liberale Demokratie offenbare sich in ihrer Zerbrechlichkeit. Der Verzicht auf Fakten, Respekt und Verständigung, die Flucht in Blasen, wo die Lüge wuchere, die Manipulation der Verängstigten, all das höhle Demokratien aus und zersetze sie.
Der Befund war stark und dicht. Raum für Einspruch bot er höchstens dort, wo Blom das Wohlergehen Europas gleichsam als Diebsgut ausschilderte, das zu Scham und Schuld gegenüber Afrika nötige. Das war linke Gesangskunst. Sie deckte bestenfalls eine Teilwahrheit ab und mied jeglichen Hinweis auf die korrupten, fortschrittshemmenden Diktaturen Afrikas.
Damit ließ es Blom nicht bewenden. Der Refrain war erst der Beginn einer großen, wuchtigen Selbstbezichtigungsarie. Er warf Europa Hochverrat an denwerten der Aufklärung vor. Der Rückgriff auf sie: Verlogenheit. Als Begründung diente die Flüchtlingsdebatte. Freiheit, Gleichheit und Solidarität seien nur auf das eigenewir bezogen. Der Verweis auf die Aufklärung mutiere zum Kampfbegriff der Abgrenzung. Das universelle Denken und die universellen Menschenrechte seien abgelöst worden vom „Rückzug auf das Eigene, dienation, die Grenze“. Zu beklagen sei der schlimmste Angriff auf die Aufklärung seit dem Ende des Totalitarismus.
Blom meinte nicht den Umstand, dass für einen Teil der Zugezogenen die Religion über dem Staat steht. Dass jüdische Passanten in Europas Städten nicht mehr sicher sind. Dass türkischstämmige Milieus einem Demokratiefeind die Stimme geben. Lehrerinnen der Handschlag verwehrt wird. Ärztinnen vom Op-tisch weichen müssen. Ein Drittel muslimischer Mädchen mit 15 vom Bildungsradar verschwindet. Oder deren Mütter nicht am sozialen Leben teilhaben dürfen. Diese Grußbotschaften aus der Vormoderne hat Blom nicht gemeint. Der Zivilisationsbruch sei der Schutz der Grenze, Voraussetzung, um den Blick souverän über sie hinaus zu richten. Der Zivilisationsbruch sei das Achten auf die eigene Identität, Voraussetzung, um integrativ zu handeln. Der Zivilisationsbruch sei die Solidarität nach innen, Voraussetzung, um sie auch nach außen zu leben. hilipp Blom forderte ein Denken mit Risiko, wie damals, als man Risiko gegen Thron und Altar nahm. Der Thron heute ist die Herrschaft des politisch Korrekten. Ihr beugte sich Blom. Er wählte die risikofreie Denkbahn purer Gesinnungsethik. Das Migrationsproblem ist aber mit dem Großvokabular deraufklärung allein nicht zu lösen, sondern nur mit dem Pragmatismus des Möglichen und Machbaren. Die Gäste waren zu festlich gekleidet, um den Redner aufzuklären.
P