Auf demweg in die kopflose Gesellschaft
Henzes „The Bassarids“rissen das vorsichtige Premierenpublikum hin.
Er belebt die Sinne und vernichtet Familien, Städte, Staaten: Dionysus, der Gott des Rausches, der Verführung, des Chaos. Euripides hat die „Bakchen“, das Drama vom Einfall des rachsüchtigen jungen Gottes in Theben, 406 vor Christus geschrieben.
Hans Werner Henze und seine Librettisten Wystan H. Auden und Chester Kallman spürten die Zeitlosigkeit des Themas Verführbarkeit der Massen in den Sechzigerjahren unvermindert. Das Stück kam1966 bei den Salzburger Festspielen heraus, nun ist es wieder da, aktuell und gefeiert wie damals.
Es ist ein düsterer Stoff, den uns die Autoren vorsetzen, drückend und beklemmend in Szene gesetzt von Krzysztofwarlikowski. Ihn erinnert die kollek- tive „Vergiftung durch Bullshit“an die Vorgänge in seiner Heimat Polen, sagte er im Vorfeld. Platte Aktualisierung aber versagte er sich und blieb im Archetypischen.
Dionysus, den Sohn der Semele und des Zeus, treiben Rachegefühle nach Theben. Semele hatte, von der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus angestachelt, ihren Liebhaber in Originalgestalt sehen wollen, erfährt der Zuhörer in einem nicht vertonten Prolog. Das war ihr Tod – den Anblick des Gottes erträgt kein Sterblicher. Dionysus rächt die Tat an den Verwandten seiner Mutter, die nichts damit zu tun hatten. In dionysischer Trance zerfleischt die Mutter von König Pentheus ihren Sohn.
Hauptfigur in Warlikowskis finsterem Drama ist das Volk, also die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Hingebungsvoll stürzen sich die Sänger, verstärkt durch Tänzer, in pseudoreligiöse Orgien und singen dazu klangschön ihr gewaltiges Pensum. Spielmacher ist Sean Panikkar, der schlanke Dionysus mit strahlend durchschlagskräftigem Tenor. Sogar der verklemmte Pentheus – stimmlich wie darstellerisch intensiv verkörpert von Russell Braun – kann sich seiner Verführungskunst nicht entziehen. Derweise Sehertiresias (Nikolai Schukoff) ist der erste, der den Hof verlässt und sich den Orgien anschließt. Auch Stadtgründer Cadmus, der wunderbar altersweise Willard White, verfällt dem jungen Mann. Das Unglück nimmt seinen Lauf.