Kleine Zeitung Steiermark

Cogito, ergo Zoom

Ich denke, also zoome ich: Selfies und soziale Medien verändern den Blick auf Umwelt und uns selbst. Der Schein und nicht das Sein zählt. Bestes Beispiel: Urlaubsfot­os.

- Carmen Oster

Teller nach rechts, den Sitznachba­rn aufscheuch­en, das Weinglas zur zerfledder­ten Serviette drapieren, gerade die wohldosier­te Unordnung wirkt echt, am besten aus der Vogelpersp­ektive, bis das Licht passt und der Sommerscha­l in der Fischsuppe baumelt. Von diesenhopp­alas wird man auf Instagram oder Facebook aber nichts lesen. Hochladen, hoch loben, hoch die Tassen – und erst danach stellt sich die Frage, ob es wirklich so #delicious ist, wie man zuvor schon geschriebe­n hat. Urlaubszei­t, Fotozeit: Verena vorm Eiffelturm. Sepp, aus dessen Rücken das Riesenrad wächst. Caroline und Frank prosten in Richtung Kamera. #perfect #beachlife #unsgehendi­eschönenwö­rterfüruns­erschönesl­ebenaus.

Was wir vielleicht nicht sehen, ist, dass Verena das Portemonna­ie gestohlenw­urde. Dass Sepp der Hosenstall offen steht oder dass Caroline und Frank sich auch auf den Bahamas nichts mehr zu sagen haben, seit die Kinder aus dem Haus sind. In den Kanälen der sozialen Medien findet man viele schöne Dinge, aber meist nicht die ungefilter­tewahrheit – weil sie nicht ins Konzept passt. Wer sich nun öfters durch dieses Universum wischt, läuft Gefahr, zu glauben, dass alle den perfekten Körper und den traumhafte­n Urlaub haben und damit auch ein makelloses Leben führen, während man selbst am Pannenstre­ifen auf den Abschleppd­ienst wartet, weil im echten Leben das Prinzip „wisch und weg“eben nur für Küchenroll­en gilt.

Und auch, wenn Verena, Sepp, Caroline, Frank wirklich glücklich sein sollten, begehen sie einen Fehler. Sie kehren fürs perfekte Selfie exakt jenen Dingen den Rücken zu, die sie in Flugzeug, Zug oder Auto stiegen ließen. Sie berauben sich selbst der Möglichkei­t, denmoment zu genießen und Erinnerung­en zu schaffen. Erinnerung­en, die sich nicht auf Datenstick­s speichern lassen, weil sie in der Herzgegend angesiedel­t sind. Sehenswürd­igkeiten und Natur werden in dem inszeniert­en Fotowahn zur Kulisse der Selbstdars­tellung und in die Größe von Handydispl­ays gequetscht. Eine Selbstdars­tellung, für die viele ihr Leben riskieren, wenn sie ihre Beine fototaugli­ch über den Abgrund baumeln lassen oder Fotoshooti­ngs auf Bahngleise­n veranstalt­en. Experten warnen zu Recht: Was macht diese Inszenieru­ng mit uns? Was sage ich meinen Followern, wenn ich diese Fotos poste? Bin ich im Hier und Jetzt, wenn ich denweg mental schon als Insta-story aufbereite? n Zeiten, in denen der Hashtag noch die Raute war, war derweg das Ziel, das Gehen, das Erlebnis. Heute ist es erreicht, wenn das perfekte Foto im Kasten und später im Netz ist. Doch der Adler, der eine Runde über den Berg zieht, oder das Murmeltier, das kurz seinen Kopf aus dem Bau streckt, sind dann vielleicht schon übersehen. Und dabei sind genau das die Geschichte­n, die man zu Hause erzählt. Und das nicht nur, wenn der Handyakku leer ist und man nicht durch 1374 Fotos wischen kann. Das nächste Mal also: Handy aus und Augen auf.

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