Vom größtmöglichen Wahnsinn
Vor 2490 Jahren fühlte sich Aischylos in den Feind ein. Salzburgs Festspiele zeigen den Anfang des Theaters.
Er
hat gewusst, wovon er schreibt. Aischylos war dabei, als das übermächtige Heer der Perser in der Meerenge von Salamis eine vernichtende Niederlage erlitt. Acht Jahre später schrieb er ein Stück über den Feind, um den Griechen Leid und Schmach der Invasoren vor Augen zu führen. „Die Perser“sind das älteste erhaltene Stück der europäischen Theatergeschichte und zeigen den Triumph einer Demokratie über den Kadavergehorsam eines hochgerüsteten Großreichs. Und doch bewegt das furchtbare Schicksal dieser im Mittelmeer ertrunkenen, geschlachteten Soldaten und ihrer verzweifelnden Angehörigen, das der Dichter einfühlsam wie drastisch schildert.
In Ulrich Rasches Inszenierung erstattet eine Männergruppe Bericht vom Grauen: ein martialischer Chor, dem Untergang geweiht, zerschellend an der Hybris des Anführers Xerxes und an der Kriegslist der namenlos bleibenden, mit dem Mute der Verzweiflung um ihre Heimat kämpfenden Griechen. Die Körper der vernichteten Perser bäumen sich noch einmal auf, Wiedergänger, die ihr Unglück in die Welt brüllen, platziert auf einer von zwei unaufhörlich in Bewegung bleibenden Drehscheiben, die den Rahmen des Raums sprengen.
Diese Drehscheiben und die darauf trottenden, schleichenden, stampfenden Figuren sind die zentrale Metapher für die Unausweichlichkeit des Niedergangs, den Mahlstrom des Krieges, die Gefangenschaft des Menschen. Zum rhythmischen Sprechen dieses vom Ensemble beeindruckend realisierten Deklamationstheaters kommt eine Musik, die die unbarmherzige Sogwirkung von Text und Bühne steigert: anschwellende Bocksgesänge, Wehklagen über die Vernichtung. Intensiviert wird dies alles in der Episode auf der Insel Psytalleia, einem Gemetzel im Stroboskoplicht.
Rasche, der für seine Bühnenapparaturen bekannt ist, bleibt trotz der effektreichen Bilder nah am Text, hier in der enttäuschend schmucklosen Übertragung von Durs Grünbein. Doch der Regisseur bringt das Inventar durcheinander: Den Botenbericht entindividualisiert er zur Schreckenserzählung der Masse, er überträgt den Chor des Ältestenrats zwei Frauen (Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa), Xerxes teilt er auf mehrere Männer auf, während der Geist Dareios’ als Frau erscheint. Die Individualität von Figuren wie Königin Atossa (Patrycia Ziolkowska), eine Psychologisierung interessiert Rasche nicht, diese ist auch in dervorlage inexistent. Er wuchtet Aischylos auf die Bühne und zeigt, wie schnell sich überlegen fühlende Weltmächte untergehen können, wenn ihre Anführer sich als Narren erweisen, die sich über Götter und Schicksal emporschwingen möchten. Am Ende schleppen sich die Gestalten der Geschlagenen über die Scheibe, weder tot noch lebendig. Stumme Zeugen des größten möglichen Wahnsinns. Martin Gasser