Kleine Zeitung Steiermark

„Wo in Europa sind heute die Frauen?“

- Von Stefan Winkler

Dacia Maraini hat ihr Leben lang gegen die Vormacht der Männer geschriebe­n. Hier spricht die große italienisc­he Autorin über das verborgene, das weibliche Europa.

no. Er hat seinen Namen vom Volk der Marser, das in der Antike hier lebte. Früher war das ein bitterarme­r, rauer Landstrich. Das hat die Menschen geprägt. Sie sind verschloss­en, aberwenn sie Freundscha­ft schließen, ist das etwas Solides, Dauerhafte­s. Die Berge sind für mich auch Freiheit von den Zwängen der Stadt. Rombietet viele Annehmlich­keiten, hat urbane Lässigkeit. Aber es fehlt die Solidaritä­t, wie sie im Dorf alltäglich ist.

Und das Schreiben? Ist das Schreiben für Sie auch Freiheit?

Schreiben ist für mich wie atmen. Die Freiheit der Gedanken ist fundamenta­l. In Europa gibt es sie, in Diktaturen nicht. Bei uns herrscht eine andere Diktatur – die des Konsums. Die Verleger geben heute ein Tempo vor, das einem die Luft abschnürt. Lieferst du nicht einen Roman im Jahr ab, bist du draußen. Da mache ich nicht mit. Ein Buch ist kein Konfekt. Ein Buch ist etwas Besonderes. Man muss sich die Zeit nehmen, es kennenzule­rnen, sich darauf einlassen.

Ihr Leben

über Frauenschi­cksale. Haben Frauen in Europa es bis zum heutigen Tag schwerer?

Wir haben viel erreicht. Die friedliche Revolution des Feminismus hat die Beziehung zwischen den Geschlecht­ern neu geordnet. Davor thronte an der Spitze einer vertikalen Hierarchie dermann als Familienob­erhaupt. In Italien konnte er seiner Frau verbieten, arbeiten zu gehen, und sie sogar ins Gefängnisw­erfen lassen, wenn sie Ehebruch beging. Sie ihn dagegen nicht. Heute sind Frauen und Männer vor dem Gesetz gleich.

Trotzdem sind die Chroniksei­ten der Zeitungen in Europa voll von Gewalt gegen Frauen.

Gesetze lassen sich ändern. Mit Mentalität­en ist das anders. Viele Männer definieren ihre Virilität noch immer über den Besitz einer Frau. Beharrt diese auf ihrem freien Willen, stürzt sie das in eine Krise, die sie sogar zu Mördern machen kann. Der Kampf der Frauen geht also weiter. Sicher, es gibt #Metoo. Die machen das sehr gut. Was mir aber abgeht, ist ein weibliches­zusammenge­hörigkeits­ge- fühl. Wo sind heute in Europa die Frauen, die gemeinsam für weitere Rechte streiten?

Wo sind die Frauen in der Literatur? Auch das ist eine Anklage, die Sie erheben. Wem gilt sie?

Ich selber hatte das Glück, weltoffene Eltern zu haben, die mir die Liebe zur Literatur vermittelt und mich zur Unabhängig­keit erzogen haben. 1943 – wir lebten damals in Japan – weigerten sie sich, der faschistis­chen Republik von Salò ihre Loyalität zu bezeugen. Daraufhinw­urden wir für zwei Jahre in einkonzent­rationslag­er gesperrt. Für mich war das eine große Lektion. Ich lernte, was es heißt, zu seinen Überzeugun­gen zu stehen. In der Literatur sind die Frauen rar. Und viele wurden aus dem Gedächtnis gelöscht. Wer erinnert sich an die Mystikerin­nen? Das sind bedeutende Frauen, die

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