VOLKSTHEATER WIEN | Rollenbilder, frisch gecastet
Intendantin Anna Badora sorgt mit ihrer Inszenierung von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“am Volkstheater für hohen Unterhaltungswert und einiges Unbehagen.
Schauplatz des Geschehens im Drama um den von Venedigs braven Christen bespuckten Geldverleiher Shylock, der laut Vertrag seinem Schuldner Antonio ein Pfund Fleisch aus dem Leib schneiden darf und von einem falschen Gericht um seine Rache betrogen wird. Und auch in der Parallelhandlung um die Gattenwahl der Erbin Portia dreht sich in einem fort dasrouletterad: Die Liebe ist hier nur etwas für Zocker.
Die Aufführungsgeschichte des historisch als „Komödie“ausgewiesenen Stücks ist, gelinde gesagt, problematisch. Bis zu aggressivem Antisemitismus reicht sein Spektrum, heute wird es natürlich durchwegs als Toleranzplädoyer gelesen. Badora geht es um die Hinterfragung vonrollenbildern und Stereotypen. Dass bei der Premiere das Publikum Anja Herden auserwählte, offenbart die Grenzen dieser Lesart. Shylock, der Jude, als schwarze Frau: Für einen nuancierten Umgang mit dieser Konstellation ist in diesem „Kaufmann“nicht viel Platz. Dazu beitragen mag, dass dank Votingsystem ein Gutteil der Schauspieler gleich zwei Rollen draufhaben muss – und die können sich durch abermaligen Applausometer-einsatz zur Pause auch mitten im Stück noch ändern. Was hält: Den titelgebenden Kaufmann Antonio (Galke) und seine Freunde zeigt Badora als homoerotisch unterlegte Buberlpartie, als vor lauter Spaß emotional komplett verwahrloste Horrorclowns. Ständig werden zotige Juden- und Frauenwitze gerissen, undwenn Antonios Freunde Bassanio (Peter Fasching) und Lorenzo (Jan Thümer) von Liebe faseln, geht es ihnen sichtlich nur um die Mitgift ihrer Zukünftigen.
Sensationell, wie Anja Herden, als Shylock inmitten jeder Menge Action nervös an eine Zigarette nach der nächsten geklammert, bei der Premiere dennoch zu eindringlichem Spiel und leisen Tönen fand. Nach zwei Stunden: langer, freundlicher Applaus.