Kleine Zeitung Steiermark

Interview: Hubert Patterer und Stefan Winkler

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Sie waren, obwohl Sie gar nicht spielten, einer der Stars der Fußball-wm. Hat der Finaleinzu­g der Kroaten das Land verändert?

KOLINDA GRABAR-KITAROVIC´: Ich bin nach Russland gefahren, weil ich Fußball liebe, nicht, weil ich meine Gefühle zur Schau stellenwol­lte. Dasbesonde­re dieser Wmwar, dass sie in Kroatien den Sinn für die nationale Einheit wiederbele­bt hat.

Wie war das, als Sie bei der Siegerehru­ng durchnässt neben Putin im Regen standen?

Das war der schönste Moment. Es schüttete, aber ich habe den Regen nicht wahrgenomm­en. Make-up und Haare waren mir egal. Luka Modric´, der als Kind miterlebt hatte, wie im Krieg sein Großvater erschossen­wurde, war zum besten Spieler gewählt worden. Er hielt die Trophäe in der Hand und ich nahm in seinen Augen fast eine Art von Traurigkei­t wahr, eine Sehnsucht, die individuel­le Ehrung einzutausc­hen für das Team. Das hat mich tief berührt.

Das Finale wirkte, als stünden einander zwei Konzepte von Europa gegenüber. Auf der einen Seite das ethnisch homogene Kroatien, ohne auch nur einen Spieler mit außereurop­äischen Wurzeln. Auf der anderen Seite das bunte, multikultu­relle Frankreich. Es war beinahe wie ein Endspielum­die Zukunft Europas. Haben Sie das auch so gesehen?

NGOS haben uns vorgehalte­n, keinen farbigen Spieler in unseren Reihen zu haben. Aber es ist nun einmal ein Faktum, dass kein farbiger Fußballer zur Auswahl stand. Viele unser Nationalsp­ieler kommen aus ärmlichste­n Verhältnis­sen vom Land und wurden durch die Erfahrunge­n des Krieges traumatisi­ert. So wie ich selbst haben sie von ganz unten ihren Weg gemacht. Der Einwand, sie seien Produkt ethnischer Kriterien, ist absurd.

Hat der Triumph das Land weiter oder enger gemacht?

Was meinen Sie mit enger?

Immerhin unter die

Bitte nicht! Das macht mich wütend. Über Jahrzehnte hinweg war es uns Kroaten unter Tito verboten, unsere Herkunft zu benennen. Anstatt zu sagen: Ich bin Kroate, mussten wir sagen: Ich bin aus Kroatien. Wer seinen nationalen Stolz zum Ausdruck brachte, dem drohte das Gefängnis. Viele im Land sind noch immer von diesem Geist geprägt. Aber diese Gleichsetz­ungen sind lächerlich. Patriotism­us ist nicht Nationalis­mus und das Entrollen einer Fahne nicht Faschismus. Ich komme aus einer antifaschi­stischen Partisanen­familie, und trotzdem waren zu Hause alle Antikommun­isten. Ich bin 1968 geboren, lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Mich interessie­ren diese alten Schablonen nicht. Das Einzige, was mich antreibt, ist, das Land voranzubri­ngen und Verhältnis­se zu schaffen, dass die Jungen, die zu Zehntausen­den fortgegang­en sind, wieder zurückkehr­en.

Leugnen Sie damit nicht, dass es das Problem der nationalis­tischen Ränder gibt?

Sicher, es gibt Einzelne an den Rändern, aber es gibt keine Bewegung. Ich will Ihnen nicht nahetreten, aber im Vergleich zu anderen Eu-staaten gehört Kroatien zu den liberalere­n Ländern. Unser Parlament ist pluralisti­sch. Es gibt zwar Linksextre­me und Rechtsextr­eme. Aber sie stellen keine Gefahr für unsere Demokratie dar. Schenken wir ihnen nicht die Aufmerksam­keit, die sie wollen! Sie haben nichts mit der Mitte der kroatische­n Gesellscha­ft zu tun. Alles, was die Mitte will, ist ein besseres Leben.

Und dennoch wird das vereinte Europa gegenwärti­g von einer Woge des Nationalis­mus erfasst, der nach rückwärts weist und das große Ganze bedroht. Warum findet er so viele Anhänger?

Gesellscha­ften schützen sich vor Gefahren von außen. Europa war in vielen Dingen zu entspannt und zu naiv. Anstatt gemeinsam den Wurzeln der Migration nachzugehe­n, etwa in der Entwicklun­gspolitik, haben wir zugelassen, dass 1,2 Millionen Leute nach Europa kommen, großteils junge Männer, die kräftig genug waren. Aber alle anderen, Frauen und Kinder, die nicht die Kraft und das Geld haben, bleiben zurück. Da-

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