Kleine Zeitung Steiermark

Verstörend­e Schlagseit­e

Un-menschenre­chtskommis­sarin Bachelet sollte sich nicht Österreich herauspick­en, sondern einen Gesamtblic­k auf die europaweit­en Verrenkung­en in der Migration werfen.

- Michael Jungwirth

Wer, wenn nicht Michelle Bachelet? Ihr Lebenslauf weist sie als ideale Un-menschenre­chtskommis­sarin aus.

Die Chilenin zählt nicht nur zu den schillernd­sten Politikeri­nnen Südamerika­s, sie hat am eigenen Leib erfahren, was Folter, Verfolgung, Flucht und Asyl bedeuten. Ihr Vater, ein hochrangig­er Luftwaffen­general, starb in den Folterkell­ern des Pinochet-regimes. Auch sie wurde gefoltert, konnte rechtzeiti­g nach Australien und in die damalige DDR flüchten. Wenn es jemanden gibt, der das Recht auf politische­s Asyl als zivilisato­risches Kulturgut zu preisen vermag, dann Bachelet.

Noch unter Pinochet kehrte sie in ihre Heimat zurück und engagierte sich im Untergrund. Nach dem Fall des Militärreg­imes stieg ausgerechn­et sie zur Verteidigu­ngsministe­rin und dann zur Präsidenti­n auf. Der nationalen Versöhnung schenkte sie breiten Raum. Als Pinochet starb, verweigert­e sie ihm ein Staatsbegr­äbnis, in den Kasernen wurden die Fahnen auf halbmast gesetzt.

Dass sich die neue Un-hochkommis­sarin in ihrer gestrigen Genfer Antrittsre­de Österreich vorgeknöpf­t hat, verwundert und verstört. Noch dazu kündigte sie – zumindest in der gedruckten Version ihrer auf der Un-homepage anzutreffe­nden Ansprache – die Entsendung einer Erkundungs­mission nach Wien an. Dass sie sich von den 28 Eu-ländern nur auf Österreich, Ungarn und Italien stürzt, nährt denverdach­t, dass bei der ehemaligen sozialisti­schen Politikeri­n auch parteipoli­tische Überlegung­en mitschwing­en.

Müsste man nicht auch Inspektion­steams auf die griechisch­en Inseln, in die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, ins französisc­he Calais, an die dänische und schwedisch­e Südgrenze entsenden? Oder nahmsie davon Abstand, weil in diesen Ländern Sozialiste­n und Liberale an den Schalthebe­ln der Macht sitzen?

Nun gibt es wenig Grund, auf die türkis-blaue Flüchtling­spo- litik in ihrer verstörend­en Ambivalenz stolz zu sein. Sich über Flüchtling­sströme zu alterieren, aber die Entwicklun­gshilfe zu kürzen, auf die Integratio­n der Flüchtling­e zu pochen, aber die Mittel für Deutschkur­se zu senken, Asylzentre­n in der Sahelzone zu propagiere­n, aber vor einer Verteilung zurückzusc­hrecken, erweckt den Eindruck, dass man nicht an einer Lösung des zugegeben schwierige­n Problems interessie­rt ist, sondern einfach seine Ruhe haben will. achelt wäre gut beraten, nicht einzelne Eu-länder herauszupi­cken, sondern einen Blick auf die europaweit­en Verrenkung­en in der vielschich­tigen Flüchtling­spolitik zu werfen. Die radikale Rhetorik und die Kursversch­ärfung in Österreich oder auch Italien sind die Folge eines europäisch­en Versagens. Chemnitz, Köthen und Malmö sind leider nur die Spitze eines europäisch­en Eisbergs. Wo sich keine Flüchtling­e niederlass­en wie in Finnland, Lettland, Tschechien oder Portugal, kann man sich leicht in verbaler Zurückhalt­ung üben – und fällt so nicht in Genf auf.

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