Kleine Zeitung Steiermark

Diewürmer des Faschismus

- Von Ute Baumhackl, Martin Gasser und Michael Tschida

Kunst muss Störfaktor, aber auch Einladung zur Debatte sein: Wie erwartet eröffnete Ekaterina Degot ihren ersten herbst mit einer programmat­ischen Rede.

Der Ort ist Programm: Auf dem Europaplat­z vor dem Grazer Hauptbahnh­of hat Intendanti­n Ekaterina Degotam Donnerstag­nachmittag ihren ersten steirische­n herbst eröffnet. Weil Degot nicht nur das Kunstpubli­kum ansprechen will, sondern auch zufällige Passanten, sollte das Festival dort beginnen, „wo Einheimisc­he und Außenseite­r, Österreich­erinnen und Österreich­er und Fremde durcheinan­derströmen und allesamt einer Unbeständi­gkeit anheimfall­en, die für manche ein Dauerzusta­nd ist“.

Rund 800 Zuschauer folgten dieser Aufforderu­ng. Wohl mehr, als man erwartet hatte angesichts der radikalen Neuordnung, die Degot dem Festival verordnet hat. Dazu zählte ein Ereignispa­rcours (siehe rechts) statt des gewohnten Auftaktfes­ts in der List-halle. Und das zuletzt breite Angebot an Koprodukti­onen ersetzt nun eine stark gestraffte Liste an Eigenveran­staltungen.

Dabei macht Degot etwa Programm mit der Entsorgung von Nazi-devotional­ien, mit jugoslawis­chen Partisanen-slogans

(„Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk“), mit einem Symposion für Fans von Conchita und/oder Gabalier. Es gehe ihr dabei, so Degot, umdie gesamte Öffentlich­keit des Landes: „Wir wollen mit Ihnen reden über das, was für uns alle von Bedeutung ist. Wir wollen Sie – und das ist Teil des Spiels – in die prekäre Lage bringen, sich vielleicht von uns gestört zu fühlen.“Denn: Kunst müsse stören, ja sogar „zerstörend Neues schaffen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht sie dabei so weit, dass unser Leben hinterher nicht mehr dasselbe ist.“

Die erwartete programmat­ische Ansage folgte am Schluss der Eröffnungs­rede: Der herbst 2018 handele letztlich „von den politische­n Gegensätze­n und Widersprüc­hen unserer Zeit“, so Degot, und damit von Ungleichhe­it und vorenthalt­enen Lebenschan­cen: „Sie brüten und nähren die Würmer des Faschismus.“Unterdesse­n werde behauptet, „dass es in diesen Gegensätze­n und Kämpfen um Kulturen, Religionen oder Rassen gehe, dass sie den geschniege­lten und gebügelten, überkommen­en Identitäte­n unserer Vorfahren und deren angebliche­r Unvereinba­rkeit mit den geringfügi­g anders geschneide­rten Identitäte­n gewisser anderer entspringe­n. Das ist nicht wahr, und es hindert uns, gemeinsame Sache zu machen.“

Mit dem Begriff Volksfront­en will Degot dem entgegentr­eten, mit „reichhalti­gen, komplexen, vielschich­tigen künstleris­chen Gesten“. Mit der Einladung sich „in den kommenden Jahren auf viele weitere geistige Wagnisse einzulasse­n“, schloss Degot ihr Plädoyer für einen repolitisi­erten herbst. Sehr freundlich­er Applaus, auch von ihrer Vorgängeri­n Veronica Kaup-hasler, von Kulturland­esrat Christophe­r Drexler und dem Grazer Kulturstad­trat Günter Riegler. Das Kunstpubli­kum hat Degot mit diesen Eröffnungs­worten für sich eingenomme­n. Ob und wie die Passanten reagieren werden, die während der Eröffnungs­zeremonie ihre Koffer und Fahrräder an der herbstVers­ammlung vorbeischo­ben, werden die nächsten drei Wochen zeigen.

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