Diewürmer des Faschismus
Kunst muss Störfaktor, aber auch Einladung zur Debatte sein: Wie erwartet eröffnete Ekaterina Degot ihren ersten herbst mit einer programmatischen Rede.
Der Ort ist Programm: Auf dem Europaplatz vor dem Grazer Hauptbahnhof hat Intendantin Ekaterina Degotam Donnerstagnachmittag ihren ersten steirischen herbst eröffnet. Weil Degot nicht nur das Kunstpublikum ansprechen will, sondern auch zufällige Passanten, sollte das Festival dort beginnen, „wo Einheimische und Außenseiter, Österreicherinnen und Österreicher und Fremde durcheinanderströmen und allesamt einer Unbeständigkeit anheimfallen, die für manche ein Dauerzustand ist“.
Rund 800 Zuschauer folgten dieser Aufforderung. Wohl mehr, als man erwartet hatte angesichts der radikalen Neuordnung, die Degot dem Festival verordnet hat. Dazu zählte ein Ereignisparcours (siehe rechts) statt des gewohnten Auftaktfests in der List-halle. Und das zuletzt breite Angebot an Koproduktionen ersetzt nun eine stark gestraffte Liste an Eigenveranstaltungen.
Dabei macht Degot etwa Programm mit der Entsorgung von Nazi-devotionalien, mit jugoslawischen Partisanen-slogans
(„Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk“), mit einem Symposion für Fans von Conchita und/oder Gabalier. Es gehe ihr dabei, so Degot, umdie gesamte Öffentlichkeit des Landes: „Wir wollen mit Ihnen reden über das, was für uns alle von Bedeutung ist. Wir wollen Sie – und das ist Teil des Spiels – in die prekäre Lage bringen, sich vielleicht von uns gestört zu fühlen.“Denn: Kunst müsse stören, ja sogar „zerstörend Neues schaffen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht sie dabei so weit, dass unser Leben hinterher nicht mehr dasselbe ist.“
Die erwartete programmatische Ansage folgte am Schluss der Eröffnungsrede: Der herbst 2018 handele letztlich „von den politischen Gegensätzen und Widersprüchen unserer Zeit“, so Degot, und damit von Ungleichheit und vorenthaltenen Lebenschancen: „Sie brüten und nähren die Würmer des Faschismus.“Unterdessen werde behauptet, „dass es in diesen Gegensätzen und Kämpfen um Kulturen, Religionen oder Rassen gehe, dass sie den geschniegelten und gebügelten, überkommenen Identitäten unserer Vorfahren und deren angeblicher Unvereinbarkeit mit den geringfügig anders geschneiderten Identitäten gewisser anderer entspringen. Das ist nicht wahr, und es hindert uns, gemeinsame Sache zu machen.“
Mit dem Begriff Volksfronten will Degot dem entgegentreten, mit „reichhaltigen, komplexen, vielschichtigen künstlerischen Gesten“. Mit der Einladung sich „in den kommenden Jahren auf viele weitere geistige Wagnisse einzulassen“, schloss Degot ihr Plädoyer für einen repolitisierten herbst. Sehr freundlicher Applaus, auch von ihrer Vorgängerin Veronica Kaup-hasler, von Kulturlandesrat Christopher Drexler und dem Grazer Kulturstadtrat Günter Riegler. Das Kunstpublikum hat Degot mit diesen Eröffnungsworten für sich eingenommen. Ob und wie die Passanten reagieren werden, die während der Eröffnungszeremonie ihre Koffer und Fahrräder an der herbstVersammlung vorbeischoben, werden die nächsten drei Wochen zeigen.