Grenzenlose Grausamkeit
„100 Jahre Grenze“lautet eine aktuelle Ausstellung in Graz. Eine Schau, die schmerzhafte Erinnerungen weckt.
Ich bin für den Transport und für die Organisation der Erschießungen verantwortlich ... Mit Hilfe der Militärpolizisten schaffen wir 60 Personen auf zwei Laster. Überwiegend sind es Deutsche und einige Steirer. Mit Draht gefesselte Hände ... die Exekutionen werden am Abend stattfinden ...“
Was der Partisanen-offizier Zdenko Zavadlav in seinen Tagebüchern erzählt – stellenweise grauenhaft detailliert –, ist nur eine von vielen Einzelheiten der aktuellen Ausstellung „100 Jahre Grenze“im Museum für Geschichte in der Grazer Sackstraße 16. Der zweite von drei Teilen der Ausstellungsreihe ist noch bis Februar zu besuchen – und dürfte vor allem für Bewohner der heutigen Grenze zwischen Österreich und Slowenien eine schmerzhafte Auseinandersetzung bedeuten.
Schon bei ihrer Eröffnungsrede stellte Museumsleiterin Bettina Habsburg-lothringen fest: „Geschichte wird man nicht los. Sie verschwindet nicht. Ist immer da.“Und auch Historiker Helmut Konrad, der die Sammlung gemeinsam mit Petra Greef kuratierte, gibt zu: „Noch heute sorgt das Schicksal des Grenzlandes für Diskussionen.“
Er schildert in Streiflichtern, was nach dem Esten Weltkrieg passierte: „Nach der letzten Volkszählung der Donaumonarchie lebten 73.000 deutschsprachigemenschen in der Untersteiermark.“Sie stellten damit zwar 80 Prozent der Einwohner der Städte Marburg/ Maribor, Pettau/ptuj und Cilli/ Celje, die überwiegende Mehrheit in deruntersteiermarkwar aber slowenischsprachig. „Angesichts dieser Gemengelage war es unmöglich, eine Trennlinie zu ziehen, die von allen als fair empfunden wurde.“Sie
Erklär mir die Grazer Geschichte
Die wichtigsten historischen Ereignisse von der Urzeit bis heute – erhältlich online via www.kleinezeitung.at/shop und in allen Redaktionsbüros der Kleinen Zeitung. musste nach dem Krieg trotzdem gezogen werden, denn die Untersteiermark gehörte fortan zum neu gegründeten „SHSStaat“, dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.
Und auchwenn das Alltagsleben an der Grenze zum nunmehr kleinen Österreich bald wieder auch so etwas wiewassersport in dermurkannte – mit Passierscheinen waren es unkompliziert, die kleine Grenze zu überqueren –, änderte sich eine ganze Menge. Im Jahr 1922 lebten nur noch 22.500 deutschsprachige Menschen in der Region, zehn Jahre später gerade einmal 12.400. Vor allem in den Schulen war keine Spur vom vertraglich zugesicherten Minderheitenschutz zu spüren.
Wir machen einen Sprung ins Jahr 1941. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Welt bekanntlich aufs Neue verdüstert. Im April wurde von Graz aus der Einfall in die jugoslawische „Untersteiermark“organisiert, Tausende Lehrer und Pfarrer aus dem Reich in die Balkanregion gekarrt, 36.000 Slowenen eingedeutscht. Konrad spricht von einer „brutalen Germanisierung“.
Jahre später wendete sich das Blatt – was blieb, war die Grausamkeit. Tito-armee und Partisanen rächten sich, die Opferzahlen spiegeln die wechselseitigen Verbrechen wider. Allein im Alpe-adria-raum kam es zwischen 1941 und 1945 zu 600.000 Toten. Die Gräueltaten auf beiden Seiten kamen oft erst Jahre später ans Licht. Manche überhaupt erst heute – durch Ausstellungen wie jene im Museum für Geschichte.
Das Schlusswort hat deshalb wieder Zdenko Zavadlav, denn er sprichtwohl aus, was für viele Menschen im Krieg gilt: „Oh Gott, wohin sind wir nur gekommen.“