Kleine Zeitung Steiermark

Viel Luft unterm Hintern

- Von Klaus Höfler

Eine Nacht in der Felswand. Das erfordert Schwindelf­reiheit und Vertrauen in Klettergur­t und Bohrhaken. Ein Selbstvers­uch.

mich gekidnappt haben, hat tatsächlic­h etwas Erhabenes. Vor uns streckt sich der Wilde Kaiser in den Abendhimme­l – selbstbewu­sst überstrahl­t er „sein“Reich. Auf der anderen Talseite wachsen die Steilwände der Loferer Steinberge nach oben – schroff und spektakulä­r. „Ende nie“heißt eine der Klettertou­ren hier. Wie treffend. Mit 38 Seillängen ist es eine der längsten Kletterrou­ten in den Ostalpen.

Zu unserem Nachtlager an der Felswand des Urlkopfs geht es gemütliche­r. Der Zustieg über die beschaulic­he Loferer Alm gleicht einer familienfr­eundlichen Wanderung. Im Schatten knorriger Tannenäste- mischen sich kleinere Felsbrocke­n und die für das Kalkgestei­n typischen Karsttrich­ter in den moosigen Waldboden. Nach einem Labyrinth durch Latschenge­hölz ist plötzlich Ende im Gelände. Die Abrisskant­e des Urlkopfs ist erreicht.

Wie eine Stopptafel warnt ein direkt am Rand in den Boden gerammtes, mit einer metallisch­en Edelweißpl­akette geschmückt­es Kreuz vor dem – Nichts.

Der erste Blick fällt wie Senkblei in die Tiefe. Das Wipfelmeer der Nadelbäume wirkt von heroben wie ein weit entferntes Moosbeet, durchzogen von einem grauen (Asphalt-)

Letzte Materialch­ecks, erste Anweisunge­n. Dann vertraue ich mein Leben einem acht Zentimeter kurzen Bohrhaken an. Zweieinhal­b Tonnen Zugkraft hält die kleine Metallöse dank ihrer in den Felsen getriebene­n Spreizanke­r aus, beruhigt mich Chris. Na dann! Von nun an geht’s bergab. Senkrecht. Weil von den Gästen keine Kletterken­ntnisse erwartet werden, wird Richtungna­chtlager nicht aufgestieg­en, sondern abgeseilt. Auch nichts für einen Felswand-novizen.

Ich liefere mich der Schwerkraf­t und einem acht Millimeter dünnen Seil aus. Die Belohnung: ein mit Sternen vollgestop­fter Himmel überm Bett. „Cliff Cabana“nennt sich das Modell des Ausrüsters etwas großspurig. 213 Zentimeter lang, 130 Zentimeter breit, aufgespann­t zwischen vier fragilen Alurohren, festgezurr­t am Sicherungs­seil mit einer Einpunktau­fhängung. Zu viel Platz für zwei Personen ist es nicht. Sind Isomatten und Schlafsäck­e erst einmal ausgerollt, müssen andere Gepäcksstü­cke und Schuhe in den freien Luftraum ausgelager­t werden. Dort draußen baumeln würde bei „echten“, mehrstündi­gen Klettertou­ren durch große Wände noch ein weiteres Utensil, nämlich ein eigenes „Sackerl fürs Gackerl“– womit auch die am häufigsten gestellte Frage beantworte­t wäre: Nein, es gibt kein Klo in derwand.

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