Ein bisschen übers Leben reden
Ob sie schon einmal im Bordell war, wird Lia am häufigsten gefragt. Schon oft, sagt sie dann. Als langjährige Nacht-taxifahrerin in Graz kennt sie alle möglichen Milieus; aber wie es im Puff zugeht, interessiert die Leute immer ammeisten. Also nimmt sie einen mit in eines. Wenn man will. Jenseits des gewohnten Taxi-small-talk-voyeurismus soll man sich dort davon überzeugen können, „dass hier ganz normale Menschen arbeiten“. Man wird also an der Bar ein Getränk einnehmen, den Tänzerinnen zuschauen und ein bisschen übers Leben reden, auch über die Liebe und die rumpeligen Wege, die sie manchmal nimmt. Nachher kann man, wenn man will, auch noch in andere Taxis steigen; zu Ahmed zum Beispiel, der von seiner ersten und der zweiten Heimat erzählt und der erst auf Kurdisch, dann auf Deutsch ein sehnsuchtsvolles Gedicht vorträgt, gerichtet an eine einem Missverständnis zum Opfer gefallene Jugendliebe. Und zu Tom, der sich im Auto eine Karriere als Musiker finanziert und zur Gitarre einen witzigen Song übers Taxifahren vorträgt. Stadt- und Selbsterkundungen im
Unter dem Motto „Hier war ich noch nie“lädt das Theater im Bahnhof zu Taxirundfahrten in urbane Befindlichkeiten und lässt dabei auch private Schlaglöcher nicht aus.
„Taxichoreografie“nennt das Theater im Bahnhof das intime Projekt, das heute im Rahmen des steirischen herbsts Premiere hat. Fahrzeuge mutieren dabei zu Bühne und Zuschauerraum für maximal vier Personen, und taxitypische Plaudereien erhalten neuen Rahmen und Richtung.
Sechs professionelle Taxifahrerinnen und Taxifahrer wurden für die Sonderfahrten gebrieft, es geht zum Beispiel rund um den Schloßberg und zu einer Abrisslücke. Aber längst nicht alle Fahrtziele lassen sich in der Stadtgeografie verorten. Denn unter Dieselgurgeln und elektrischem Schnurren geht es in die verzweigten Gassen politischer, sozialer, kultureller Befindlichkeiten. Und unter Umständen wird zwischendurch recht plötzlich ins Private abgebogen; dann geht es von den Durchzugsstraßen der allgemein-belanglosen Konversation in die verkehrsberuhigten Zonen des vertraulichen Austauschs.
Bekanntlich redet es sich unter Fremden oft am offensten; das wird auf den rund 30-minütigen Fahrten performativ gut genutzt. Daneben öffnet sich der Blick auf die Stadt.