Drei Sekunden Ewigkeit
Von Franzobel
prägt Vorurteile. Ich bin mit dem Bild unsympathischer und arroganter Deutscher aufgewachsen, die am Ende immer gewinnen. Böse aber waren die Russen – menschliche, mit Anabolika vollgestopfte Roboter, Vertreter eines gefährlichen Systems. Während der 1970erund 80er-jahre wurden die Sportler der Sowjetunion als unmenschlichemonster hingestellt. Wie falsch das war, zeigt der russische Sportblockbuster „Dwischenie wwerch“(goingvertical), den ich zufällig gesehen habe. Erzählt wird der Sieg der sowjetischen Basketballer bei Olympia 1972 über die damals 36 Jahre ungeschlagenen Amerikaner. Drei Sekunden vor dem Ende gelang den Us-boys aus einem Freiwurf der vermeintlich entscheidende Korb zum 50:49. Weil der zuständige Funktionär, ein gewisser Joseph Blatter, ja, ebenjener spätere Präsident desweltfußballs, damals 36 Jahre alt, mit den Knöpfen der Stoppuhr nicht klarkam, das vom russischen Trainer geforderte Time-out nicht gegeben worden war, mussten die letzten drei Spielsekunden wiederholt werden. Das Nachspiel brachte nichts, die Amerikaner fielen einander jubelnd in diearme, diesowjetsweinten, aber ihre Funktionäre protestierten, da die drei Sekunden nicht auf der offiziellen Spieluhr angezeigt worden waren.
kam zu einer nochmaligenwiederholung ebenjener drei Sekunden. Olympiafinale! Ein unglaublicherwurf über das gesamte Feld, der russische Center Alexander Below fängt den Ball, lässt mit einer eleganten Drehung zwei Verteidiger ins Leere fliegen und hat alle Zeit derwelt, den Ball zu versenken. 51:50! Die UDSSR jubelt. Der unglaublichste Sieg der Sportgeschichte? Oder der größte Skandal? Die Amis protestieren(erfolglos), verweigern die Siegerehrung, und manche Spieler verbieten testamentarisch ihren Erben, die Silbermedaille je anzunehmen. Eine atemberaubende Story am Höhepunkt des Kalten Krieges, während vom Palästinenserattentat überschatteter Spiele, und ein bemerkenswerter Film, der hoffentlich irgendwann auch hier läuft.
der Fluchtversuch des litauischen Spielers Modestas Paulauskas, der seine Mannschaft dann doch nicht im Stich lassenwollte, Belows Liebesgeschichte oder die von den Spielern an ihren Trainer geschenkten Siegprämien, damit der seinen gehbehinderten Sohn operieren lassen kann, derwahrheit entsprechen oder nur dermelodramatik geschuldet sind, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es interessant, ein Sportdrama einmal von der anderen Seite zu sehen. Der Film mag kitschig und propagandistisch sein, aber er macht die Russen menschlich, weil man mit ihnen weint, lacht, singt und am Ende jubelt. Darum sollte es solche Filme auch über Inder, Chinesen, Nordkoreaner, Afrikaner, Iraner oder Peruaner geben. Bitte mehr. Spasibo. Franzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sportfan.