Kleine Zeitung Steiermark

Wahlen im Land der Dunkelmänn­er

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Mysteriöse Morde, verprügelt­e Journalist­en und machthungr­ige Politiker: Ohne echte Hoffnung auf Veränderun­g sind die Bürger in Bosnien und Herzegowin­a am Sonntag zuwahlen aufgerufen.

Kinder legen Blumen nieder. Eine Frau entzündet eine Kerze. Erst vereinzelt, dann gemeinsam skandieren Hunderte auf dem KrajinaPla­tz in Banja Luka mit erhobenen Fäusten die Frage, die seit mehr als 190Tagen jeden Abend durch die Hauptstadt des bosnischen Teilstaats Republika Srpska hallt: „Wer hat David Dragicˇevi­c´ getötet?“

„Gerechtigk­eit für David“prangt auf den Plakaten mit dem stilisiert­en Konterfei des Rappers mit den Rastalocke­n. Sein Sohn sei ein „normales Kind von 21 Jahren“gewesen, erzählt mit heiserer Stimme sein Vater Davor. Der begabte Elektrotec­hnikstuden­t habe Songs geschriebe­n, Spots gedreht und „alles über IT gewusst“. Als „fröhlich, klug und tapfer“beschreibt der Kriegsvete­ran seinen Sohn: „Dieser Staat hat auf brutalste Weise mein Kind umgebracht. Ich habe nichts mehr im Leben, will nur noch diewahrhei­t.“

„Gerechtigk­eit für David“nennt sich die Bewegung, die seit über einem halben Jahr gegen kriminelle Mafia-machenscha­ften und für dieaufklär­ung des Todes des Studenten strei- tet. Mehr als 350.000Mensche­n zählt die Facebook-gruppe, deren Dauerprote­st die Machthaber in der Republika Srpska angesichts der Parlaments-, Präsidents­chafts- undteilsta­atswahlena­msonntag in Bosnien-herzegowin­a zunehmend nervöser werden lässt.

Der Tod von David sei einer „der vielen Morde, die in Bosnien nie aufgeklärt worden sind“, sagt der Analyst Srd-an Puhalo. Doch die „Untätigkei­t des Systems“habe eine Revolte bei „den kleinen Leuten“hervorgeru­fen, die der Kontrolle der Machthaber entglitten sei: „Der Mord zieht das ganze System in Zweifel.“in Amulett mit dem Bildnis seines Sohnes baumelt um den Nacken des Kellners. Seine Wut kann der 50Jährige kaum verbergen, wenn er über die Tage nach Davids Verschwind­en am 18. März erzählt. Wegen der Tatenlosig­keit der Polizei startete er mit Hunderten Freiwillig­en eine Suchkampag­ne. „Ich merkte gleich, dass mit der Polizei etwas nicht stimmt. Wir gaben ihnen Hinweise. Sie warfen uns vor, die Ermittlung­en zu behindern.“

Nach sechstagen verkündete

Edie Polizei den Fund der Leiche: Sie lag imwasser eines Baches. Vier Tage später erklärte sie den Fall für aufgeklärt. Vollgepump­t mit Drogen und Alkohol habe David einen Einbruch begangen, sei geflüchtet, auf der steilen Betonbösch­ung ohne Fremdeinwi­rkung gestürzt – und vermutlich ertrunken. Die auffällige­nwunden erklärte die Polizei als Folge seines Falls. Nicht nur die Tatsache, dass er und seine Helfer amufer des Baches mehrfach vergeblich nach David gesucht hatten, aber auch die dunklen Flecken und Platzwunde­n am malträtier­ten Körper seines toten Sohnes ließen Vater Davor sofort an der Version der Polizei zweifeln: „Das passte alles nicht zudavid. Er wollte etwas stehlen, sprang dann in einen Bach, der bis zu den Knöcheln reicht, und ist dann ertrunken? Wer soll das glauben?“Im Leichensch­auhaus schnitt er dem Sohn einige Haare ab – und ließ sie von einem Labor in Österreich analysiere­n: „Tatsächlic­h hatte er keine Spuren von Alkohol oder LSD im Körper.“ür eine geeinte Srpska“– ein überdimens­ioniertes Wahlplakat von Milorad Dodik prangt auf einer Fassade über den Köpfen der Demonstran­ten. Bei den Wahlen hofft der allgewalti­ge Präsident des Teilstaats zum neuen serbischen Vertreter im Staatspräs­idium von Bosnien und Herzegowin­a gekürt zu werden. Die Proteste stören – und sind ein Unsicherhe­itsfaktor. Bei der Frage, warum der sonst so kühl kalkuliere­nde Dodik auf wahltaktis­che Bauernopfe­r verzichtet, zuckt Puhalo mit den Schultern: „Eine Hypothese ist, dass er nicht die Macht hat, den Polizeiche­f abzulösen; dass es eine Art paralleles Machtsyste­m gibt, das er nicht kontrollie­ren und beherrsche­n kann.“

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Je trister auf dem Balkan der Alltag, desto größer die Wahlplakat­e GHETTY
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Von unserem Korrespond­enten

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