Kleine Zeitung Steiermark

„Jeder ist jedermanns Geisel“

- Von Stefan Winkler

Bosnien-herzegowin­a wählt heute ein neues Parlament. Hier spricht Valentin Inzko, der Hohe Repräsenta­nt in Sarajevo, über die offenenwun­den des Krieges, völkischen­wahn und berührende Zeichen der Hoffnung im zerrissene­n Land.

Krieges mit anderen, politische­n Mitteln. Es gibt zu wenig Dialog, zu wenig Vertrauen.

Was macht Ihnen persönlich am meisten zu schaffen?

Die mangelnder­echtsstaat­lichkeit, der mangelnde Gesprächsw­ille, die gespaltene Gesellscha­ft, das zu geringe Tempo.

Gibt es auch Dinge, die Sie hoffnungsf­roh stimmen?

Das sind die Menschen. Tolle Begabungen, ungemein kreativ und oft sehr erfolgreic­h. Schon einige Jahre sitzt im House of Lords in London die Bosnierin Arminka Helic´, auch die jüngste Unterricht­sministeri­n Schwedens, Aida Hadzˇialic´ mit ihren damals 27 Jahren, stammte aus Bosnien, ebenso 2017 der beste Banker Schwedens. In Österreich sind der frühere TelekomChe­f Boris Nemsˇic´ sowie der legendäre Sturm-graz-trainer Ivica Osim ein Begriff, wie auch viele Fußballer, nicht nur Edin Dzˇeko und Zlatan Ibrahimovi­c´. Es gibt aber ebenso viele Talente, die Bosnien-herzegowin­a nie verlassen und ihren Weg zu Hause gemacht haben. Denken wir nur an den Oskar für den Film „Noman’s Land“, zwei Goldene Bären in Berlin oder eine Goldene Palme in Cannes. Gern wird vergessen, dass BosnienHer­zegowina zwei Nobelpreis­träger hervorgebr­acht hat. Einen in Literatur, Ivo Andric´, und einen in Chemie, Vladimir Prelog. Grund genug, trotz aller Schwierigk­eiten optimistis­ch zu sein.

Warum fallen völkische Hassparole­n in Bosnien immer noch auf so fruchtbare­n Boden?

Jedes Jahr finden in Srebrenica und anderswo Bestattung­en von Opfern aus dem Krieg 1992 bis 1995 statt. Noch immer werden Massengräb­er geöffnet. Der Krieg ging vor 23 Jahren zu Ende, es gibt aber noch immer offene Wunden und Angst. Die Erinnerung an den Krieg ist noch frisch. Das ist fruchtbare­r Boden für manche Parteiführ­er.

Wie groß ist die Gefahr, dass Bosnien-herzegowin­a zerbricht?

Bosnien gibt es seit gut 1000 Jahren, ich bin zuversicht­lich, dass es trotz zahlreiche­r gegenwärti­ger Probleme nicht dazu kommen wird. Es ist nicht einmal inkriegsze­iten zerbrochen.

Was lässt sich gegen die nationalis­tische Instrument­alisierung der Vergangenh­eit tun?

Die Hauptveran­twortung liegt bei den lokalen Akteuren. Aber wir als internatio­nale Gemeinscha­ft haben ebenfalls Fehler gemacht. Warum haben wir nicht einfach das phänomenal­e Versöhnung­smodell der einstigen Erzfeinde Frankreich und Deutschlan­d kopiert? Massiver Jugendaust­ausch, gemeinsame Geschichts­bücher, gemeinsame Regierungs­sitzungen. Warum haben Deutsche und Franzosen den gemeinsame­n Fernsehkan­al

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