„Jeder ist jedermanns Geisel“
Bosnien-herzegowina wählt heute ein neues Parlament. Hier spricht Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant in Sarajevo, über die offenenwunden des Krieges, völkischenwahn und berührende Zeichen der Hoffnung im zerrissenen Land.
Krieges mit anderen, politischen Mitteln. Es gibt zu wenig Dialog, zu wenig Vertrauen.
Was macht Ihnen persönlich am meisten zu schaffen?
Die mangelnderechtsstaatlichkeit, der mangelnde Gesprächswille, die gespaltene Gesellschaft, das zu geringe Tempo.
Gibt es auch Dinge, die Sie hoffnungsfroh stimmen?
Das sind die Menschen. Tolle Begabungen, ungemein kreativ und oft sehr erfolgreich. Schon einige Jahre sitzt im House of Lords in London die Bosnierin Arminka Helic´, auch die jüngste Unterrichtsministerin Schwedens, Aida Hadzˇialic´ mit ihren damals 27 Jahren, stammte aus Bosnien, ebenso 2017 der beste Banker Schwedens. In Österreich sind der frühere TelekomChef Boris Nemsˇic´ sowie der legendäre Sturm-graz-trainer Ivica Osim ein Begriff, wie auch viele Fußballer, nicht nur Edin Dzˇeko und Zlatan Ibrahimovic´. Es gibt aber ebenso viele Talente, die Bosnien-herzegowina nie verlassen und ihren Weg zu Hause gemacht haben. Denken wir nur an den Oskar für den Film „Noman’s Land“, zwei Goldene Bären in Berlin oder eine Goldene Palme in Cannes. Gern wird vergessen, dass BosnienHerzegowina zwei Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Einen in Literatur, Ivo Andric´, und einen in Chemie, Vladimir Prelog. Grund genug, trotz aller Schwierigkeiten optimistisch zu sein.
Warum fallen völkische Hassparolen in Bosnien immer noch auf so fruchtbaren Boden?
Jedes Jahr finden in Srebrenica und anderswo Bestattungen von Opfern aus dem Krieg 1992 bis 1995 statt. Noch immer werden Massengräber geöffnet. Der Krieg ging vor 23 Jahren zu Ende, es gibt aber noch immer offene Wunden und Angst. Die Erinnerung an den Krieg ist noch frisch. Das ist fruchtbarer Boden für manche Parteiführer.
Wie groß ist die Gefahr, dass Bosnien-herzegowina zerbricht?
Bosnien gibt es seit gut 1000 Jahren, ich bin zuversichtlich, dass es trotz zahlreicher gegenwärtiger Probleme nicht dazu kommen wird. Es ist nicht einmal inkriegszeiten zerbrochen.
Was lässt sich gegen die nationalistische Instrumentalisierung der Vergangenheit tun?
Die Hauptverantwortung liegt bei den lokalen Akteuren. Aber wir als internationale Gemeinschaft haben ebenfalls Fehler gemacht. Warum haben wir nicht einfach das phänomenale Versöhnungsmodell der einstigen Erzfeinde Frankreich und Deutschland kopiert? Massiver Jugendaustausch, gemeinsame Geschichtsbücher, gemeinsame Regierungssitzungen. Warum haben Deutsche und Franzosen den gemeinsamen Fernsehkanal