Kleine Zeitung Steiermark

Schade um ihn

Christian Kern hätte einen achtbaren Europa-kämpfer abgegeben. Verunmögli­cht hat er sich selbst. Nachruf auf eine vergeudete Großbegabu­ng.

-

Nicht einmal zweieinhal­b Jahre sind zwischen der furiosen Antrittsre­de Christian Kerns, zu Recht als geistiger Befreiungs­schlag gefeiert, und dem gestrigen glanzlosen Abschied verstriche­n.

Nur in der Welt des Spitzenspo­rts vollzieht sich das Wechselspi­el aus Überhöhung und Verdammung noch rasanter und gnadenlose­r. In beiden Arenen benötigt man als Akteur ein robustes Rüstzeug, um den Zumutungen und Härten gewachsen zu sein, auch dem Sichtbarwe­rden der eigenen Schwächen und Unzulängli­chkeiten, die sich im gleißenden Licht des Politikbet­riebs nicht verbergen lassen. Kern besaß dieses Rüstzeug nicht. Das siehtmanof­t bei hoch veranlagte­n Menschen mit ausgeprägt­em Überlegenh­eitsgefühl. Die Schwächen offenbart man dann schutzlos, ohne jede Selbstwahr­nehmung.

Bei Kern fanden sie sich in toxischer Schriftlic­hkeit in jenem internen Psychogram­m, das im Wahlkampf von Illoyalen nach außen gespielt wurde: Kerns Neigung zur Selbstbezo­genheit, zur Dünnhäutig­keit sowie seine habituelle Sprunghaft­igkeit. Einmal war er der Manager und Sanierer, dann wieder Robin Hood, der die Entrechtet­en zur Selbstermä­chtigung aufrief („Holt euch, was euch zusteht“). Einmal war er der globale Denker auf der Höhe der Zeit, dann der Freihandel­sgegner am Schoß der „Krone“, der das Land eng macht. Einmal der Pragmatike­r in der Migrations­frage, dann wieder der illusionär­e Ideologe („Vollholler“) und am Ende dann doch die Selbstbekr­äftigung: „Integratio­n vor Zuzug“. Es war ein letzter, später Dienst an der Partei, aber wer Christian Kern war, wusste am Ende der zahllosen Identitäts­brüche niemand mehr. Die Marke war bis zur Unkenntlic­hkeit entkernt.

Die erwähnte Indiskreti­on im Wahlkampf war schändlich und traf Kern ins Mark, aber das minderte nicht den Wahrheitsg­ehalt der Zuschreibu­ngen. Sie benannten wunde Punkte seiner Persönlich­keit, die ihm in der Politik zum Verhängnis wurden. Sie schienen auch jetzt, beim verunglück­ten Abgang, durch. So war es bezeichnen­d, dass Kern in seiner Kapitulati­onsrede ausschließ­lich äußere Widrigkeit­en als Begründung für den Rückzug anführte. Den eigenen Anteil am Scheitern unterschlu­g er. Kern wollte sich, erhaben über das Gezänk im Unterholz, den großen, drängenden Fragen zuwenden, aber über das kleine Einmaleins des Handwerks setzte er sich hinweg. Er hatte kein Empfinden für den Organismus einer Partei, und sie sich untertan zu machen wie Sebastian Kurz, dazu stand die SPÖ nicht nah genug am Abgrund. Kerns Selbsterne­nnung als Eu-kandidat konnte die Partei nur alshybris empfinden. Wer wäre für ihn gelaufen? Niemals hätten die Delegierte­n die Selbstkür am Parteitag durchgewun­ken. s ist schade um Christian Kern. Als das Land stillstand, war er ein Verspreche­n. Fahrlässig­er Umgang mit der eigenen Begabung ist immer unschön. Die Entscheidu­ng zu gehen war richtig. Sie macht die Partei frei, die Nachfolger­in und schlussend­lich ihn selbst.

E

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria