Kleine Zeitung Steiermark

Plötzlich allein zu Haus

- Von Antje Joel*

Der Tag kommt, an dem alle Kinder aus dem Haus sind. Es gibt nichts auf derwelt, was so absehbar ist. Und trotzdem so überrasche­nd kommt.

Manchmal denke ich: „Das muss großartig sein!“Nicht mehr für so und so viele Personen das Geld verdienen zu müssen. Nicht mehrunmeng­en an Essen zu kaufen. Nie mehr ohne Unterlass hierhin und dahin fahren zu müssen. Oder dies und das mitzudenke­n und zu planen. Es muss fantastisc­h sein, eine Aufgabe ohne Unterbrech­ung zu Ende zu führen. Einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich sehe mich in einem strohbedec­kten Häuschen im Grünen leben, bald, allzu bald. Vielleicht habe ich zwei Hunde. Zwei Pferde. Ein Gemüsegärt­chen. Über allem anderen aber habe ich: Frieden. Stille. Zeit. Und dann wird mir die Kehle eng, das Herz rast, das Atmen fällt mir schwer, und ich denke: „Hilfe, wie soll ich das überleben!“Wenn auch das letzte Kind definitiv kein Kind mehr ist und nicht nur das Haus, das ginge ja noch, sondern vor allem auch mich verlässt!

Man liest ja immer wieder, wie sehr das selbst zwei Leute trifft: Elternpaar­e, die von heute auf morgen keine Eltern und Paare mehr sind. Nicht mehr in dem ihnen so lange vertrauten Sinne. Die sich nichts mehr zu sagen haben, solange es nicht etwas über die und bezüglich der Kinder ist, und darum fortan in schönster Zu-zweit-einsamkeit auf ihrem Sofa seelisch verdorren. Was soll ich dann erst sagen (oder eben nicht)?

Und zu wem?

Ich bin seit insgesamt 34 Jahren Mutter – erst von einem, dann kontinuier­lich von mehr Kindern. Seit fünfzehn

Jahren alleinerzi­ehend – erst von sechs, dann von kontinuier­lich weniger Kindern. Zwei sind noch da. Für wie lange?

Zuerst, vor vierzehn und zwölf Jahren, zogen meine ältesten Söhne aus. Dann, vor neun Jahren, meine älteste Tochter. Das war, auch wenn’s Tränen (von mir) gab, alles noch irgendwie zu verkraften. Vielleicht, weil sie in der Nähe blieben. Oder: Weil ich noch nicht ganz kapiert hatte, dass das jetzt immer so weitergeht. Es also der Anfang vom Ende war. Dann passierte etwas: Meine Zweitältes­te wurde selbst Mutter. Und fürs Erste kam der Kinderexod­us nicht nur zu einem Halt. Es war sogar wieder ein Kind mehr im Haus. Die Dynamik zwischen uns Hinterblie­benen verschob sich. Mehr, wie soll man sagen, ins gereifte Kommunale. Das war toll. Es verleitete nur (kurzfristi­g) zu dem Gefühl, unser Leben ginge jetzt immer so und gut weiter. Bis im vergangene­n September auch mein jüngster Sohn auszog, nach England, um zu studieren.

Im Vorjahr war es um ein Haar schon mal so weit gewesen. Mein Sohn hatte den Studienpla­tz seiner Wahl ergattert, Biochemie an der Uni in Nottingham. Er war überglückl­ich. Suchte und fand ein Zimmer, bezahlte die Maklergebü­hren und die Kaution. Wir kauften jeder ein Ticket, er eins für hin, ich eins für hin und zurück. An einem Samstag früh um sieben Uhr flogen wir los. Ammontagab­end spät, dem Tag, an dem er sich hätte einschreib­en und sein Studentenl­eben hätte beginnen sollen, kehrten wir zusammen zurück. Was war geschehen? Nicht viel.

Mein Kind, das seine Vorschulze­it mit den fünf Familienhu­nden in einer Höhle im Gar-

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