„Es gehtumdie Würde“
Eine schwere Nervenkrankheit hat das Leben von Harald Schmied und seiner Familie erobert. „Die Perspektiven haben sich verschoben“, sagt er.
Lieber Klaus, das ist ein EMail, das ich mit meinen Augen geschrieben habe ...“Was antworten? Die floskelhaften Solidaritätsbekundungen von Mitgefühl – sie klingen vermessen. Nein, man kann nicht annähernd „fühlen“, wie es einem Menschen geht, dessen wacher Geist in einem Körper steckt, der an Amyotropher Lateralsklerose erkrankt ist. „Nicht heilbare degenerative Erkrankung des Nervensystems“, erklärt das Lexikon die Krankheit ALS und beschreibt ein Krankheitsbild, das sich vor nicht einmal zwei Jahren in Harald Schmieds Leben geschlichen hat. „Bettina, mit mir stimmt irgendetwas nicht“, hatte er damals zu seiner Frau gemeint. Unregelmäßig plagten ihn Sprachschwierigkeiten, dann undwann ein leichtes Zittern. Ein halbes Jahr später glaubten die Ärzte, die Ursache gefunden zu haben: Parkinson. Vier Monate darauf mussten sie ihre Diagnose revidieren: Amyotrophe Lateralsklerose. „Wir schaffen das, wir werden alles tun, was möglich ist“, schworen sich die Schmieds – seit 30 Jahren ein Paar, verheiratet, zwei Söhne – auf einen gemeinsamen Kampf ein. Seither ist in ihrem Familienalltag nicht mehr viel, wie es einmal war.
Das Gestern war geprägt von dichtem sozialen Engagement. Als damaliger Chefredakteur der Grazer Straßenzeitung „Megaphon“hatte Schmied 2001 die Idee für eine soziale Straßen- fußball-weltmeisterschaft für Obdachlose. 2003 fand sie erstmals in Graz statt. Seither ist der Homeless World Cup zu einem jährlichen Fixpunkt in der internationalen Szene geworden. Schmied wurde für seine Initiative mit dem Goldenen Verdienstkreuz der Republik und im vergangenen Dezember mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Graz ausgezeichnet.
Schon damals hatte die Krankheit nach und nach den Körper des 50-Jährigen erobert, hatten die spastischen und schlaffen Lähmungen der Muskulatur Harald Schmied in den Rollstuhl gezwungen. Auch eine Magensonde zur künstlichen Ernährung wurde implantiert, ein Treppenlift in den ersten Stock des Einfamilienhauses installiert. Harald absolvierte Fitnessstudio-besuche gegen den Muskelabbau, PhysiotherapieEinheiten gegen das Verkrampfen. Ein Arzt aus Deutschland wurde konsultiert. Durch einen Spendenaufruf über Facebook im Frühjahr 2017 kam binnen kürzester Zeit das Geld für eine teure Spezialtherapie in einer Schweizer Klinik zusammen. „Es ist vieles in Bewegung gekommen“, fasste Schmied damals die aufkeimende Zuversicht zusammen.
Die Krankheit ließ sich davon aber nur kurz beeindrucken. Das Sprechen wurde zunehmend mühsamer, später auch das Tippen mit der linken Hand am ipad – bis beides gar nicht mehr funktionierte. „Im August mussten wir uns eingestehen: Es ist nicht besser geworden“, erinnert sich Bettina Schmied. „Ich habe nicht resigniert, ich muss nur akzeptieren, dass die Krankheit stärker ist“, relativiert Harald. Zwei Minuten hat er für diesen Satz gebraucht. Er hat ihn mit seinen Augen ge- schrieben, auf einem Computer, der via Infrarotsonden die Blicke Schmieds erkennt. Fixiert er einen Buchstaben auf der eingeblendeten Tastatur für eine Sekunde, schreibt der Computer den Buchstaben in ein Feld. Wort fürwort entstehen so Antworten, Fragen, Bitten. Eine küh-