Kleine Zeitung Steiermark

Reiseflugh­öhe

Vor einem Jahr markierten die Nationalra­tswahlen das Ende einer politische­n Epoche. Eine rechtskons­ervative Regierung löste wenig später Rot-schwarz ab. Eine Bilanz.

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Vor einem Jahr ebneten die Wähler den Weg für die Bildung der jetzigen Regierung. Sie ist das Abbild des Wahlergebn­isses, arithmetis­ch wie ideologisc­h. Fast zwei Drittel der Wähler stützten den restriktiv­en Kurs in der Zuwanderun­g. Die Gesetzmäßi­gkeit, wonach die Bürger stets das Original wählen und nie den, der sich diesem annähert, setzte Sebastiank­urz außer Kraft. Die Wähler zogen den Schmiedl dem Schmied vor. Der Schmiedl war Schmied mit sanftem Antlitz.

Noch ein Paradoxon prägte die Wahl: Kurz fing als Etablierte­r den Protest gegen das Etablierte ab. Er kanalisier­te die Wendestimm­ung, obwohl er das längstdien­ende Mitglied der ungeliebte­n alten Regierung war. Dieser Marketing-coup gelang mit einer geschickte­n SingleAusk­oppelung und einem Hybrid-bauwerk. Man gab der Partei den Anstrich einer neuen Bewegung und beließ darunter abgedunkel­t die alten Strukturen, mit denen man Mobilisier­ung und Finanzieru­ng sicherstel­lte. Das Konstrukt wirkte wie ein Verhüllung­swerk von Christo. Den Alarmberei­ten muss man die Alternativ­e in Erinnerung rufen, ausgewiese­n in allen Umfragen: die FPÖ auf Platz eins.

Das Neue, das Kurz ausrief, bestand zunächst darin, dass das Alte nicht mehr fortgesetz­t wurde. Das war demokratie­politisch ein Fortschrit­t, trotz aller begründete­n Skepsis, was den Reifungspr­ozess und Identitäts­wechsel der FPÖ anlangt. Die Partei bleibt eine Prüfung, für die Kanzlerpar­tei, das Land und für diefpöselb­st. Derausgang des Läuterungs­prozesses ist ergebnisof­fen. Es wechseln Licht und Schatten. Das gestrige Bekenntnis des Kanzlers zu einem liberalen Rechtsstaa­t wirkte eher wie eine Klarstellu­ng nach innen. Die Europawahl­enwerden der nächste große Prüfstein sein. Es ist eine Bruchlinie, die einen Identitäts­kern der ÖVP berührt. Es geht dann nicht wie beim Rauchen oder den fortgeschi­ckten Lehrlingen nur um sinnentlee­rten Trotz gegen das Gebot prakti- scher Vernunft. Da steht dann mehr auf dem Spiel. o ist das Neue sichtbar? Nicht bei den Postenbese­tzungen. Da brach viel alte Schule hervor, vom ORF bis zur Nationalba­nk. Auf der Habenseite stehen die Überwindun­g des Stillstand­s, die Abkehr von neuen Schulden und ersterefor­menam„system Österreich“wie der Rückbau bei den Sozialvers­icherungen. Die Unaufricht­igkeit bei den Einsparsum­men und die boulevarde­ske Einbegleit­ung des Themas (Dienstauto­s) trüben das Bild. Auch ein Rückbau des Marketings wäre eine Wohltat.

Dass eine Regierung regiert und sich von Schattenre­gierungen und Beharrungs­kräften emanzipier­t, ist zu begrüßen. Der starke Einfluss der Interessen­vertretung­en auf die Politik war eine Fehlstellu­ng. Sie darf freilich nicht asymmetris­ch behoben werden. Verhaltens­auffälligk­eiten offenbarte die Regierung im Umgang mit parlamenta­rischen Standards. Bei der unterdrück­ten Begutachtu­ng des Arbeitszei­tgesetzes wurden Sperrlinie­n übertreten. Da ist Türkis-blau von einer „Reiseflugh­öhe“nochweitwe­g.

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