Tausend Geschichten von der Moskwa
Yuri Slezkine erzählt in einem formal exzessiven Buch noch einmal die Geschichte der Russischen Revolution.
am Ufer der Moskwa entsteht Ende der 1920erJahre ein gigantischer Bau, der neben Theater- und Kinosälen auch 500Wohnungen umfasst. Dort bezieht die Elite des Sowjetstaats Quartier. Yuri Slezkine, Geschichtsprofessor in Berkeley, erzählt in „Das Haus der Regierung“anhand dieses im doppelten Sinn mächtigen Gebäudes eine „Saga“der Russischen Revolution.
Das ebenso gigantische Buch des 1982 nach Portugal emigrierten Russen beleuchtet aber weit mehr als das Haus am Fluss. Es ist der ambitio- nierte Versuch, das Wesen des Bolschewismus und der Sowjetunion noch einmal von Grund auf zu erklären. Slezkine geht dafür weit zurück in die Historie, folgt den späteren Hausbewohnern bis in ihre Jugendzeit, wo aus präpotenten Schulbanden subversive Gruppen hervorwuchsen.
Dass Slezkine den Bolschewismus als apokalyptische Lehre, als millenaristische Sekte interpretiert (die allerdings den Tag des Gerichts 1917 mit- erlebt), sorgte fürkritik. Manches möchte man nicht unwidersprochen lassen, dennoch ist das Buch ein genialer Wurf dank seiner wilden formalen Anlage. Es verwebt Soziologie, Geistesgeschichte, Psychologie, Literatur- und Staatswissenschaft, Persönliches und Politisches zu einer in tausend Farben changierenden Erzählung. Martin Gasser Yuri Slezkine. Das Haus der Regierung. Hanser,
1344 Seiten, 50,40 Euro.