Zum Autor
geboren 1950 in Graz, zählt zu den wichtigsten Philosophen und Publizisten des Landes. Strasser lehrt Rechtsphilosophie an der Universität Graz. Der Träger des Österreichischen Staatspreises für Publizistik veröffentlichte gut zwei Dutzendwerke. treten zunächst als Geister in Erscheinung, als solche haben sie eine zumindestvage Gestalt und können, im Guten wie im Bösen, auf uns einwirken. Die Lebenden haben bisweilen alle Hände voll zu tun, um die Untoten nicht gegen die eigene Sippe aufzubringen und ihnen einen„übergang“insreich der befreiten Seelen zu ermöglichen. Aber mit dem Fortschreiten des religiösen Fühlens und Denkens werden die Geister blass und immer blässer, um schließlich in einem raum- und zeitlosen, einemimmateriellen Jenseits zu landen. Das gilt naturgemäß für den Himmel, nicht aber für die Hölle, deren Insassen ja tüchtig gequält werden – an ihnen muss also wohl noch schmerzempfindliche Materie oder Ähnliches haften.
Die reinen Seelenlehren, die eine hochkulturelle Erscheinungsform des oft unheimlichengespensterglaubens sind, sind also keineswegs so friedlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Das ewige Leben im Jenseits setzt voraus, dass uns Gott gnädig ist – aber was verlangt er von uns? Nächstenliebe oder die Vernichtung des Feindes? Caritas oder Dschihad? Immer ist die Seele einem Gnadenakt unterworfen, manchmal einem göttlichen Befehl, an dem der Einzelne zerbricht.
Und wenn dermensch nicht standhält, weil sich in ihm Böses regt, dem er nicht standzuhalten vermag, dann bleibt sein Seelenteil im Sumpf der Materie stecken. Gewiss, eine seelenlose Welt gewährt keinen Seelenfrieden, aber der Friede der Seele ist etwas sehr, sehr Seltenes. Denn im Normalbetrieb des Seelischen herrscht nicht nur der dichte Nebel des Zweifels, wer oder was das Menschenwesen als körperlich Entkerntes sei; es herrscht auch die schreckliche Unruhe, die eine Folge des ungewissen Heils all dessen ist, was am Sterblichen unsterblich sein mag. Dassreligionenaggressiv und kriegerisch sind, hat viele Ursachen; doch eine, die es gesondert zu beachten gilt, liegt im Seelenglauben beschlossen. m Grunde wollen die Menschen nicht von der Gnade Gottes abhängen, wenn es sie nach Unsterblichkeit gelüstet. Denn das bedeutet Unterwerfung, Irritation, blindewut. Deshalb arbeitet die heutige Unsterblichkeitsavantgarde an Techniken der
ILebensverlängerung, die eines Tages – wer weiß? – nach dem letzten Tropfen Leben noch immer einentropfen aus einer Maschine oder dem Genom herauspressen werden. Schon heute lassen sichwagemutige, die das nötige Geld haben, einfrieren, „kryonisieren“, um eines Tages wiedererweckt zu werden. nd aus Silicon Valley dringen Nachrichten, es werde in fernerer Zukunft möglich sein, die Alterungsgene abzuschalten. Sei dem, wie es sei – die Welt wird deswegen nicht friedlicher, imgegenteil. Ist die Sciencefiction einmalrealität, tut sich eine neue Kampfzone auf rund um die begehrten Mittel, die das Alter ausdemleben verbannen. Den Habenichtsen, die im Dienst der Unsterblichkeitseliten rackern, steht weiterhin der Tod vor Augen, deshalb gibt es mörderische Aufstände. Obwohl jede Kreatur die endlosewiederholung im Diesseits fürchtet, will keine darauf verzichten.
Das ist ein düsteres Denken. Erst vor den Gräbern nimmt es eine versöhnliche Gestalt an. Da ruhen sie nun, die zu Lebzeiten so Unruhigen. Das ist Canettismoment: „Ich kann mich nur mit Geistern befreunden, die dentod kennen“– und über ihn schweigen. Im Schweigen lebt die Seele desmenschen fort, dem unser Andenken gilt. Consummatum est, es ist vollbracht, das Böse heilt. Dass die Toten in Frieden ruhen mögen, darin spiegelt sich derwunsch derlebendennachdemewigen Frieden.
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