In die Abgründe der Psyche
Allerseelenstimmung zum Saisonstart: Das Opernballett zeigt bei „Sandmann“Hochleistung in den Tiefs.
KeineHoffnung. Kein Entrinnen. Zuletzt bleiben Galgen und Verzweiflung. Der in Dresden ausgebildete Choreograph Andreas Heise hat beim Debüt im auf E. T. AHoffmann-welle befindlichen Graz ein klares Konzept. Auch wenn das Ballett auf der Studiobühne ein Kaleidoskop der Verwirrungen vor Augen führt. Elend bleibt Elend, Wunden können wuchern, lässt sich „Sandmann“umreißen. Mit Fokus auf eine Fallstudie schält er aus Hoffmanns Geschichte die Abgründe der Seele und weckt die Dämonen der Kindheit. Anders als jüngst die fantastische schwarzromantische Mär „Auf Sandmanns Spuren“der Choreographin Veronika Fritsch.
Dass Tanz Gänsehaut bewirken kann, erstaunt beim Saisonstart des Grazer Opernballetts, wenngleich beklemmend. Sogar der Spitzentanz der sechs Clara-klone als OPER GRAZ/WHALEN künstliches Frauenideal – anstelle der Puppe Olympia – stößt auf Bewunderung ohne Verzückung. In böser Zweieinigkeit entfalten Paulio Sovari und Arthur Haas als Sandmann-vater-gespann mit eng verschmolzenen Figuren Geisterhaftes. Stets präsent, lauernd. Ob bei Sprüngen, Dre- hungen, beim Packen und Schleifen, das famose Duo liefert tänzerisch den Stoff, aus dem die Albträume sind. Wie in sich verknotet rutscht „Nathanael“Enrique Sáez Martínez immer stärker in den Wahn. Jede Bewegung ist Ausdruck puren Leids auf der von Sascha Thomsen mit Bett, Tisch undwaschschüssel ausgestatteten Anstaltsbühne im Studiokeller. Bravourös füllt Lucie Horná die verzweifelte Clara mit körperlicher und emotionaler Ausdruckskraft.
Der filmähnliche Klangteppich von Benjamin Rimmer (Jahrgang 1993) unterlegt den Seelentanz der 15 hell kostümierten Vollblut-einsatzkräfte mit sägendem Streichen, tiefem Bass und bedrohlichem Getrommel beimveitstanz-ritual. Ein düsteres Highlight.
Elisabeth Willgruber-spitz „Sandmann“. Ballett von Andreas Heise. Bis 1.12. Oper Graz, Studiobühne. Karten: Tel. (0316) 8000