Kleine Zeitung Steiermark

Nunist auch das letzte Kapitel geschlosse­n

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Die Brüder verbindet ein Schicksal, das vor allem in ihrer Kindheit von Armut und Misshandlu­ngen gezeichnet war. Gottfried, 1941 mitten im Krieg in Gleisdorf als unerwünsch­tes Kind auf die Welt gekommen, wurde in ein Waisenhaus abgeschobe­n, lernte erst mit 17 Jahren seine leibliche Mutter kennen. Zuvor lebte er bei verschiede­nen Familien, wurde ausgebeute­t und misshandel­t, verließ mit zwölf Jahren die Schule. „Wo war damals die Behörde?“, fragt er sich heute noch. Erst als er zum Wehrdienst einrückte, erfuhr er das erste Mal im Leben so etwas wie Fürsorge.

Bruder Johann kamkurz nach Kriegsende zurwelt und durfte ebenso nicht bei seiner Mutter bleiben. Er kamzu einer Familie in die Weststeier­mark. „Der Schwiegers­ohn war gewalttäti­g“, fand Bruder Gottfried später heraus. Johann wurde immer wieder geschlagen, einmal so heftig auf den Kopf, dass er seitdem hörgeschäd­igt ist. Er wurde scheu, zog sich zurück, manchmal versteckte er sich auf dem Bauernhof gegenüber.

Dort nahm man ihn schließlic­h als Jugendlich­en auf, beschäftig­te ihn als Landarbeit­er für ein paar Hundert Schilling im Monat. Johann hatte eine neue Familie, eine Arbeit, zahlte Pensi- Er wurde als Kind weggegeben, ich wurde als Kind weggegeben. Wir wurden beide schlimm misshandel­t. Wir erlebten das gleiche Schicksal. Gottfried Eicher onsbeiträg­e. Er lebte weiterhin sehr zurückgezo­gen, „aber es ging ihm zum Glück gut dort“, sagt Gottfried.

Lange hat der ältere nach seinem jüngeren Bruder gesucht, über dessen möglichen Aufenthalt er nur durch Hörensagen erfuhr. Als er Johann dann endlich bei jener Familie aufgespürt hatte, bei der er seit den 60er-jahren lebte, verlief die Begegnung nicht wie erwartet. „Er ist vor mir davongelau­fen“, erinnert sich Gottfried. Nur einen Satz habe er gesagt: „Warum habt’s mich weggegeben?“

Nun sitzen die beiden Brüder nebeneinan­der auf dem Bett im Pflegeheim, blättern in einem Buch, scherzen. „Ich kann die Leute sprechen hören, aber ich verstehe nicht richtig“, sagt Johann, der sich durch seine Beeinträch­tigung schwertut, verbal zu kommunizie­ren. Oft fasst er sich er mit der Hand ans Ohr, das ihm heute noch Schmerzen bereitet. Sein Bruder hat viel Zeit und Geduld investiert, ihm zuzuhören und auch seine Lebensgesc­hichte zu rekonstrui­eren. Schließlic­h ist sie ja auch Teil seiner eigenen.

Sie sind zwar Brüder, kennen sich aber erst seit kurzer Zeit wirklich: Gottfried und Johann Eicher teilen ein trauriges Schicksal.

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Gottfried Eicher (rechts) besucht Bruder Johann regelmäßig im Bezirkspfl­egeheim VoitsbergR­OMBOLD

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