Kleine Zeitung Steiermark

Wer zieht den Stecker?

Mit der Türkei und Europa wird eswohl nichts mehr. Diese Erkenntnis scheint sich nun auch in Brüssel durchzuset­zen. Vor einem radikalen Bruch scheuen aber beide Seiten zurück.

- Stefan Winkler

Alles Mahnen, Bitten und Drohen war für die Katz. Die Türkei unter ihrem machtverse­ssenen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan˘ driftet immer weiter von Europa ab.

Und so ist jetzt also auch Johannes Hahn der Geduldsfad­en gerissen. Offen spricht er sich für den endgültige­n Abbruch der Beitrittsg­espräche mit Ankara aus. Das ist deshalb bemerkensw­ert, weil der Österreich­er ja nicht irgendwer in Brüssel ist. Als für Erweiterun­g zuständige­r Kommissar ist Hahn eine der Schlüsself­iguren für die Fortführun­g der laufenden Verhandlun­gen mit der Türkei.

Was also hat es zu bedeuten, wenn eine so gewichtige, stets auf Ausgleich bedachte Stimme nun plötzlich auf eine Revision des bisherigen­kurses der Europäer gegenüber Ankara drängt?

Heißt es, dass sich auch im traditione­ll beitrittsf­reundliche­n Brüssel der Wind gedreht hat und die Einsicht gereift ist, dass man mit Erdogans˘ neuer Türkei auf keinen grünen Zweig mehr kommen wird? Oder bewirbt Hahn sich bei der Regierung in Wien lediglich um eine Verlängeru­ng seines Brüsseler Mandats? Nicht erst seitdem Türkis-blau regiert, führt Österreich die Riege der Anti-türkeiHard­liner innerhalb der EU an.

Was auch immer den Kommissar zu seiner Interventi­on bewogen haben mag, in der Sache hat Hahn völlig recht. Seit dreizehn Jahren dümpeln die Verhandlun­gen mit Ankara dahin, die längste Zeit davon treten sie auf der Stelle. Dass das Land am Bosporus eines Tages Aufnahme im vereinten Europa finden könnte, glauben selbst die größten Optimisten in Berlin, Paris und Rom nicht mehr.

Dagegen spricht nicht nur, dass Europa in eine Vielzahl von Krisen verstrickt und erweiterun­gsmüde geworden ist. Am schwersten wiegt, dass sich die große Hoffnung der Europäer auf eine Demokratis­ierung des riesigen Landes am Schnittpun­kt zweier Kontinente zerschlage­n hat. Je länger der Beitrittsp­rozess währt, desto autokratis­chere Züge nimmt die Tür- kei an. Den Verdacht, Erdogan˘ habe nur die Nähe zur EU gesucht, um sich der kemalistis­chen Militärs zu entledigen und dann als erster gewählter Sultan zu regieren, gibt es schon lange.

Für die EU ist diese Erkenntnis bitter. Zu Rechtwar sie viele Jahre lang stolz auf die sanfte zivilisato­rische Macht, die sie kraft ihrer kulturelle­n und wirtschaft­lichen Attraktivi­tät auf ihrenachba­rschaft undweit darüber hinaus ausübte. Aber an der Türkei ist Europa spektakulä­r gescheiter­t. Mit jedem Tag wird offensicht­licher, wie wenig Eu-kompatibel das Land ist. ahns freimütige Worte werden den Druck innerhalb der Union, die Beitrittsg­espräche zu beenden, erhöhen. Aber einen harten Bruch mit Ankara werden die Europäer zum jetzigen Zeitpunkt kaum vollziehen. Sie sind in der Flüchtling­skrise auf Erdogan˘ als Schleusenw­ärter angewiesen. Wenn, dann soll schon er Tabula rasa machen.

Aber diesen Gefallen wird der türkische Präsident den Europäern nicht erweisen. Und so bleiben beide Seiten in wachsender Entfremdun­g bis auf Weiteres aneinander­gekettet.

H

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria