Wer zieht den Stecker?
Mit der Türkei und Europa wird eswohl nichts mehr. Diese Erkenntnis scheint sich nun auch in Brüssel durchzusetzen. Vor einem radikalen Bruch scheuen aber beide Seiten zurück.
Alles Mahnen, Bitten und Drohen war für die Katz. Die Türkei unter ihrem machtversessenen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan˘ driftet immer weiter von Europa ab.
Und so ist jetzt also auch Johannes Hahn der Geduldsfaden gerissen. Offen spricht er sich für den endgültigen Abbruch der Beitrittsgespräche mit Ankara aus. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der Österreicher ja nicht irgendwer in Brüssel ist. Als für Erweiterung zuständiger Kommissar ist Hahn eine der Schlüsselfiguren für die Fortführung der laufenden Verhandlungen mit der Türkei.
Was also hat es zu bedeuten, wenn eine so gewichtige, stets auf Ausgleich bedachte Stimme nun plötzlich auf eine Revision des bisherigenkurses der Europäer gegenüber Ankara drängt?
Heißt es, dass sich auch im traditionell beitrittsfreundlichen Brüssel der Wind gedreht hat und die Einsicht gereift ist, dass man mit Erdogans˘ neuer Türkei auf keinen grünen Zweig mehr kommen wird? Oder bewirbt Hahn sich bei der Regierung in Wien lediglich um eine Verlängerung seines Brüsseler Mandats? Nicht erst seitdem Türkis-blau regiert, führt Österreich die Riege der Anti-türkeiHardliner innerhalb der EU an.
Was auch immer den Kommissar zu seiner Intervention bewogen haben mag, in der Sache hat Hahn völlig recht. Seit dreizehn Jahren dümpeln die Verhandlungen mit Ankara dahin, die längste Zeit davon treten sie auf der Stelle. Dass das Land am Bosporus eines Tages Aufnahme im vereinten Europa finden könnte, glauben selbst die größten Optimisten in Berlin, Paris und Rom nicht mehr.
Dagegen spricht nicht nur, dass Europa in eine Vielzahl von Krisen verstrickt und erweiterungsmüde geworden ist. Am schwersten wiegt, dass sich die große Hoffnung der Europäer auf eine Demokratisierung des riesigen Landes am Schnittpunkt zweier Kontinente zerschlagen hat. Je länger der Beitrittsprozess währt, desto autokratischere Züge nimmt die Tür- kei an. Den Verdacht, Erdogan˘ habe nur die Nähe zur EU gesucht, um sich der kemalistischen Militärs zu entledigen und dann als erster gewählter Sultan zu regieren, gibt es schon lange.
Für die EU ist diese Erkenntnis bitter. Zu Rechtwar sie viele Jahre lang stolz auf die sanfte zivilisatorische Macht, die sie kraft ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Attraktivität auf ihrenachbarschaft undweit darüber hinaus ausübte. Aber an der Türkei ist Europa spektakulär gescheitert. Mit jedem Tag wird offensichtlicher, wie wenig Eu-kompatibel das Land ist. ahns freimütige Worte werden den Druck innerhalb der Union, die Beitrittsgespräche zu beenden, erhöhen. Aber einen harten Bruch mit Ankara werden die Europäer zum jetzigen Zeitpunkt kaum vollziehen. Sie sind in der Flüchtlingskrise auf Erdogan˘ als Schleusenwärter angewiesen. Wenn, dann soll schon er Tabula rasa machen.
Aber diesen Gefallen wird der türkische Präsident den Europäern nicht erweisen. Und so bleiben beide Seiten in wachsender Entfremdung bis auf Weiteres aneinandergekettet.
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