Zu Recht quer?
Gründer und
Herausgeber der Wiener Stadtzeitung „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbüchern, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
Lieber Fleischhacker, ich nehme an, Sie freuen sich über die Haltung der österreichischen Bundesregierung, dem Migrationspakt der Vereinten Nationen nicht beizutreten. Damit wird die schwächelnde Diskursbude am Hudson River von einer weiteren Regierung, die zuerst an sich und dann an die Interessen ihrer Bevölkerung denkt, in die Schranken gewiesen. Diesen Pakt haben zwar unter mexikanischerundschweizerführung auch österreichische Diplomaten mitverhandelt, aber sie standen unter Führung eines Außenministers, der das nicht mehr so genau weiß, weil er jetzt Bundeskanzler ist. Keine Migration für niemand! Nationale Souveränität über alles! Oder irre ich in meiner Annahme, dass Sie sich freuen? MICHAEL FLEISCHHACKER: Es ist so, Thurnher: Ich freue mich nicht und ich empöre mich nicht, ich versuche, zu verstehen. Ich halte das für meinen Beruf, weiß ja nicht, wie Sie es damit halten. In der Tat scheint es so zu sein, wie es immer öfter ist: dass Staaten und Regierungen nach den erlernten Regeln der internationalen Diplomatie agieren, bis sie merken, dass ihnen eine alternative Darstellung derwelt immoment mehr nützen würde. Das kann man sicher moralisch hinterfragen. Mich interessiert eigentlich mehr die Mischung aus Größenwahn und Naivität, aufgrund derer sich eine Organisation wie die UNO, die seit bald 30 Jahren mit der Verwaltung ihrer Hinfälligkeit voll beschäftigt ist, für berechtigt und vor allem fähig hält, das Phänomen der globalen Migration zu regeln.
ARMIN THURNHER: Hallihallo, einmoralvorwurf schon in der ersten Antwort, das ist verdammt früh! Ich hinterfrage erst einmal unsere Regierung nicht (kommtschonnoch), aber es ist schön, dass Sie kühl bleiben. Lassen Sie mich kühl antworten: In einerwelt, deren Distanzen schwinden, weil Transport- und Kommunikationsmittel sich exponentiell entwickeln, braucht es globaleverständigung. Den globalen Flug- verkehr betrachten Sie ja ebenso wenig als Größenwahn, denke ich, wie die zugehörigen Lotsensysteme und Regulative. Organisationen wie die UNO zu kritisieren, ist ein bisschen billig. Die versuchen nur, ein Forum für die Lösung von Problemen zu finden, die Nationalstaaten offenbar nicht lösen können. Der Größenwahn scheint mir ganz auf Seite jener Nationalstaaten zu sein, die da behaupten: Wir schaffen das allein.
MICHAEL FLEISCHHACKER: Der Vergleich mit dem internationalen Flugverkehr ist nicht einmal schlecht, würde ich meinen. Ich würde in der Tat die eine oder andere Augenbraue heben, käme die UNO auf die Idee, sich für den Check-in im Wiener Flughafen zuständig zu fühlen. Tut sie aber eh nicht. Aus guten Gründen. Ja, das Schrumpfen der Distanzen und das Schrumpfen der Zeit haben auch Auswirkungen, mit denen Nationalstaaten allein nicht zurechtkommenkönnen. Aberdie Alternative dazu ist, glaube ich, nicht eine Organisation, die nicht nur Digitalisierung und Globalisierung zum Anlass genommen hat, sich neu zu erfinden, sondern noch nicht einmal zur Kenntnis genommen hat, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Ich halte die Vereinten Nationen in ihrer real existierenden Form für ein Paralleluniversum
kontr@ Einwortgefecht ohne Sichtkontakt. Die Kontrahenten sitzen vor ihren Laptops, schärfen Argumente und gehorchen drei Regeln: