Kleine Zeitung Steiermark

Ein Plädoyer für das Komplizier­te

Der Us-soziologe Richard Sennett denkt über die Zukunft der Stadt nach.

- Richard Sennett. Martin Gasser

Aussage ist unmissvers­tändlich: „Smarte Citys machen ihre Bewohner dumm.“Richard Sennett macht solche Ansagen nicht leichtfert­ig. Der Us-amerikanis­che Soziologe und Historiker zählt dank Büchern wie „Verfall und Ende des öffentlich­en Lebens“und „Der flexible Mensch“zu den wichtigste­n Intellektu­ellen der Gegenwart. Sennett ist ein Spezialist für Städte, hat am MIT in Boston Stadtplanu­ng gelehrt und war in viele praktische Projekte involviert. Sein vernichten­des Urteil über die Smart City fußt auf der Untersuchu­ng der südkoreani­schen Modellstad­t Songdo. Für Sennett ist die „benutzerfr­eundliche“, zentral gesteuerte Stadt einwahrer Horror, nicht nur, weil die Bewohner gläsern gemacht werden und einer Dauerüberw­achung ausgesetzt sind, sondern auch, weil sie dieherausf­orderungen des Alltags und die menschlich­e Neugier minimiert: mit katastroph­alen Folgen für den Geist. Sennett ist beileibe kein Technikfei­nd und führt zahlreiche Gegenbeisp­iele an, wie smartetech­nologien wirklich Fortschrit­t bedeuten können: etwa in Bürgerbete­iligungsko­nzepten in Brasilien.

„Die offene Stadt“ist nach „Civitas“und „Fleisch und Stein“bereits Sennetts drittes Buch über dasthema und steht historisch auf sicheren Fundamente­n. Er teilt die Stadt in die „Ville“(demgebaute­n) und die „Cité“(der Gesellscha­ft, die sie bewohnt) und erklärt die vielenwech­selwirkung­en zwischen diesen Bereichen. Ausgehend von den drei Gründervät­ern der Stadtplanu­ng Georges-eugène Haussmann (Paris), Ildefons Cerdà (Barcelona) und Frederick Olmsted (New York) erzählt Sennett eine Geschichte voller Ambitionen und Rückschläg­e, voller Irrwege undvisione­n. Übrig bleibt diehoffnun­g auf eine „offene Stadt“, die weniger auf Kontrolle und Ordnung als aufkomplex­ität undvielfal­t von Bedeutunge­n setzt. Eine Stadt, die die Mischnutzu­ng von Räumen betont und die auf dem sozialen Einverstän­dnis basiert, dass der „Nächste“(das heißt, der Mitbewohne­r) kein Freund werden muss, sondern ein Fremder bleiben darf, dessen Eigenheite­n man respektier­t.

Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens. Hanser Berlin,

400 Seiten, 32,90 Euro.

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