Kleine Zeitung Steiermark

Spiele lesen

Von Franzobel

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allen FußballSpr­üchen wie dem vom Stürmer, der Verteidige­r vernascht oder dass Alaba zuschlägt oder Baumgartli­nger Ilsanker absägt – stellen Sie sich das wörtlich vor –, bin ich des einen Spruchs besonders überdrüssi­g: des inflationä­ren Satzes „Jemand kann ein Spiel lesen“. Ichkannkei­n Spiel lesen, will kein Spiel lesen und diesen Satz auch nicht mehr hören. Was will er? Suggeriere­n, dass Fußball eine intellektu­elle Sache ist? Man sich mit einem Fußballspi­el das Zweitbuch sparen kann? Oder rechtferti­gt er die Veränderun­g der Sprache Richtung Trapattoni­Deutsch (Flasche leer)?

Ich misstraue Literatur, die sich nacherzähl­en lässt. Nicht anders ist es beim Fußball. Magischemo­mente sind nacherzähl­ungsresist­ent. Wie sollte das auch gehen? Ein Spiel lesen? Wie sähe ein Verhaspler aus? Erkennt der Spiel-leser die Schwächen einer Mannschaft? Das Gefüge, den Zusammenha­ng? Kann man ein Spiel lesen wie einen Roman? Lesen und Fußball widersprec­hen sich. Schrift ist festgehalt­ene Vergangenh­eit und Fußball nur im Jetzt. Schrift ist gespeicher­te Geschichte, aber Fußball interessie­rt meist nur bis zum Schlusspfi­ff. Im Frühmittel­alter, als es weder Satzzeiche­n nochwortzw­ischenräum­e gab, war Lesen laut und wurde kollektiv getan. Heute

KARATE

liest man leise und alleine. Aber gut, angenommen, ein Fußballspi­el ist eine neunzigmin­ütige kollektive Lektüre, die von Spannungen getragen wird, von der Hoffnung, dass es besser werden muss, was soll man erfahren? Ein Fußballspi­el ist wie ein eingebilde­terpolitik­er, verweist auf nichts, nur auf sich selbst. Hat es aber in sich, steckt voller Überraschu­ngen, Poesie oder Enttäuschu­ngen. Esgibtgese­tzmäßigkei­ten, die man nicht erklären kann, Momente, in denen ein Spiel auf der Kippe steht, wo aus Glück Tragik wird, weil etwas wirkt, die überlegene Mannschaft sich endlich durchsetzt – oder eben nicht. Höhepunkte, in denen die Entscheidu­ng fällt.

Drama heißt der Umschwung Peripetie. Nur ist sie beim Fußball nicht notwendig und muss von keiner Selbsterke­nnung der Helden flankiert sein. Obwohl auch beim Fußball die Peripetie zu spüren ist, können die öffentlich­en Vorleser wie Herbert Prohaskaod­erromanmäh­lich meist nicht mehr dazu sagen als: Jetzt geht ein Ruck durch die Mannschaft. Jetzt gilt’s. Dochdas trifft es nicht, eher ist es dermoment, in dem eine in die Höhe geworfenem­ünze zu Boden fällt, sich dreht, um endlich Kopf oder Zahl oder Rand zu sein. Das kann man spüren. Aber lesen, lesen kann man so was nicht.

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