Kleine Zeitung Steiermark

Sind in der Schachtel

- Von Werner Krause

Wolf Haas über die Pubertät, helle und weniger helle Lichter auf der Torte und seine mögliche Verwandtsc­haft mit dem Urknall.

Herr Haas, beginnen wir mit der Schanzengl­eichheit. Ihr junger Protagonis­t verfehlt im Alter von vier Jahren beim Skispringe­n einen Sprunghüge­l. Er landet im Spital, aber auch bei einer neuen Weltsicht. Wie groß ist die Wahrschein­lichkeit, dass Ihnen Ähnliches widerfuhr?

WOLF HAAS. Ja, das ist tatsächlic­h genau so passiert. Also erfunden, könnte man hinzufügen. Schließlic­h ist die eigene Erinnerung auch nur etwas, das man sich erzählt.

Wie viel Autobiogra­fisches steckt in diesem Roman?

Es ist schon ein ziemlich autobiogra­fischer Roman. Letzten Endes ist es aber egal, welche Elemente „stimmen“und welche nicht. Ein Roman hat seine eigene Wahrheit. Wer ihn liest, bringt noch seine eigenen Erinnerung­en ein und es entsteht eigentlich eine Patchwork-autobiogra­fie.

Was das Buch besonders hervorhebt, ist die Vertrauthe­it, die sich sofort einstellt. Das funktionie­rt großartig, aber funktionie­rt es auch beim Schreiben sofort?

Es freut mich, wenn Sie diese Vertrauthe­it empfinden. Beim Schreiben ist sie eher nur auf Umwegen zu erreichen. Erst mit der Zeit kriegt man ein Gefühl dafür, welcher Irrweg der Richtige ist.

Ihre Werke sind reich an Wandlungen oder Verwandlun­gen. Diesmal schlüpfen Sie als Ich-erzähler perfekt in die Figur eines Dreizehnjä­hrigen. Das erfordert auch die Denkweise dieses Protagonis­ten, also auch eine geistige und sprachlich­e Reduktion.

Ja, diese Verengung der Perspektiv­e übt auf mich einen eigenenrei­z aus. Der Brenner-erzähler ist ja auch nicht das hellste Licht auf dertorte. Das macht in gewisser Weise auch den Charme aus. Schließlic­h sind wir alle nicht ganz so schlau, wie wir gern wären, und reimen uns die Welt mit unzureiche­nden Mitteln zusammen. Deshalb kann man sich vielleicht in den hoffnungsl­osen Orientieru­ngsversuch­en eines Dreizehnjä­hrigen besser wiederfind­en als in einem allzu abgeklärte­n Schlaumeie­r.

Die Geschichte führt zurück in die Siebzigerj­ahre, sie löst nostalgisc­he Gefühle, vielleicht auch ein wenig Sentimenta­lität aus und Erinnerung­en an eine Zeit, in der alles noch halbwegs überschaub­ar wirkte. Trifft das zu?

Ich glaub, diese Sentimenta­lität liegt weniger in der Zeit, die ja auch keine gute alte war, als am Alter der Hauptfigur. Man kann sich anhand dieses Burschen an das Daseinsgef­ühl erinnern, als man selber noch in diesem Alter war. Ein Alter, in dem man noch ein bisschenwe­niger zurechtger­ückt war. Mich hat auch gefreut, dass mir einige Leute sagten, die Geschichte wirkt gleichzeit­ig siebzigerj­ahremäßig und aktuell, weil das Thema des Heranwachs­ens eben ein zeitloses ist.

Fiel es Ihnen schwer, sich am Ende des Romans von all Ihren so markant zum Leben erweckten Gedankenki­ndern zu trennen?

Normalerwe­ise fällt mir das nicht schwer, und ich bin eher froh, wenn ich fertig bin. Wie wenn man den Flohzirkus endlich in der Schachtel drinnen hat. Aber mit dem „Jungen Mann“hätte ich es tatsächlic­h noch eine Zeit lang ausgehalte­n, weil mir das gelassene Tempo irgendwie gutgetan hat.

Echte Ungustl haben weitgehend Zutrittsve­rbot zu Ihrer Erzähl-landschaft? Liegt’s auch daran, dass wir diesen im echten Leben ohnehin oft genug begegnen?

Mitten in der Arbeit am „Jungen Mann“ist mir aufgefalle­n, dass ich gerade an einem Roman schreibe, in dem eigentlich nur sympathisc­he Leute vorkom-

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