Zur Person
bis heute umstritten. Unprofessionell war es jedenfalls. Mehr als 300.000 österreichisch-ungarische Soldaten gerieten in italienische Gefangenschaft. Am 3. November 1918, um 15 Uhr, wurde das Waffenstillstandsdokument unterzeichnet. 24 Stunden später trat die Waffenruhe in Kraft. Der Krieg hinkte der politischen Entwicklung um Tage nach.
Schon am 21. Oktober waren im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse die deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrats zusammengekommen und sprachen darüber, was sein würde, wenn die Habsburgermonarchie tatsächlich zerfallen sollte. 106 Deutschnationale verschiedener Parteien, 65 Christlichsoziale und 38 Sozialdemokraten sowie ein Freisozialist zogen die Konsequenzen aus der ausweglosen Situation des Reichs und suchten einen Minimalkonsens. Sie erklärten sich als Provisorische Nationalversammlung, wählten einen Provisorischen Staatskanzler, nämlich den Bibliotheksdirektor des Reichsrats, Kaiser Karl I., geboren am 17. August 1887 auf Schloss Persenbeug, gestorben am 1. April 1922 in Funchal, Madeira, war von 1916 bis zu seinem Verzicht auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“imjahr 1918 letzter Kaiser von Österreich.
Karl Renner, und wollten sich am 30. Oktober zur nächsten Sitzung treffen.
Am 30. Oktober war es dann tatsächlich soweit: Die Provisorische Nationalversammlung fasste den Beschluss zur Gründung des Staates Deutschösterreich. Um der Notwendigkeit zu entgehen, ein Staatsoberhaupt zu wählen, gewissermaßen einen „Gegenkaiser“, behalf sich die Provisorische Nationalversammlung mit einem besonders mühsamen Konstrukt: Es wurden drei Präsidenten gewählt, die sich wöchentlich in ihrer Funktion ablösen sollten. Draußen vor dem Haus, in der Herrengasse, stan- den Tausende Menschen Kopf an Kopf. Mehrheitlich wurde gejubelt und „Heil“gerufen. Man sah schwarz-rot-goldene und rote Fahnen. Ein wenig wurde randaliert.
Am Anfang des neuen österreichischen Staatswesens stand der Irrtum. Man hatte das Kriegsende nicht für den November 1918, sondern für das Frühjahr 1919 erwartet. Es sollte anders kommen. Kaiser Karl hatte sich erhofft, dass Österreich-ungarn irgendeine Art von Gemeinsamkeit, am besten in Form eines Staatenbundes, beibehalten würde – er irrte. Die deutschen Abgeordneten des Reichsrats befürchteten das totale Chaos im Augenblick des Auseinanderbrechens des alten Staatswesens und suchten nacheinander bei der k. u. k. Armeeführung, bei den Siegermächten und vor allem bei der deutschen Reichsführung Rat und Hilfe. Alle erklärten sich für nicht zuständig. Der nächste und fundamentalste Irrtum war wohl der, dass sich die deutschen Österreicher der Habsburgermonarchie der Illusion hingaben, ihr Staat würde so klein nicht sein. Daher wurde schonam30. Oktober im Staatsgrundgesetz aufgezählt, auf welche Gebiete ein deutsches Österreich Anspruch erheben sollte: Deutschböhmen, Deutschsüdböhmen, Deutschsüdmähren, das deutsche Gebiet um Neubistritz (Nová Bystrˇice), das Sudetenland sowie die deutschen Sprachinseln Brünn (Brno), Iglau (Jihlava) und Olmütz (Olomouc). Auch das erwies sich als falsch. Und obwohl es so nie gesagt worden sein dürfte, galt das Wort des französischen Ministerpräsidenten Georges Clémenceau: Österreich war der „Rest“. Nach längerem Zögern und vielen Einwänden willigte Kaiser Karl am11. November ein, einen Verzicht auf die Teilnahme am politischen Geschehen Deutschösterreichs auszusprechen. „Ich verzichte auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften“, hieß es in dem Dokument. Der Kaiser wurde also nicht abgesetzt und des Landes verwiesen, er dankte auch nicht ab, sondern wurde auf eine sehr moderate Art aus dem Geschehen ausgeblendet. Am 12. November 1918 – dem Tag, an dem dierepublik tatsächlich proklamiert wurde – hieß es in § 2: „Deutschösterreich ist ein Teil der Deutschen Republik.“Lediglich ein Abgeordneter zögerte, seine Zustimmung zu geben. Der Christlichsoziale Wilhelm Miklas hätte die Entscheidung über die Staatsform gerne einer Volksabstimmung unterzogen. Zwanzig Jahre später war er Bundespräsident und sollte den „Anschluss“Österreichs an das Deutsche Reich vollziehen.
Er weigerte sich.