Kleine Zeitung Steiermark

„Toleranz zeigt, wie entwickelt eine Gesellscha­ft ist“

Heute ist Tag der Toleranz. Einwert, der in der Gesellscha­ft immer weniger eine Rolle spiele, sagt die Psychother­apeutin Martina Leibovici- Mühlberger.

- Petra Prascsaics

Laut Unesco (Organisati­on der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenscha­ft und Kultur) ist die Toleranz „eine Tugend, die den Frieden ermöglicht“, und dazu beiträgt, „den Kult des Krieges durch eine Kultur des Friedens zu überwinden“. Am 16. November 1995 unterzeich­neten 185 Mitgliedss­taaten der Unesco die Erklärung der Prinzipien zur Toleranz. Seitdem erinnert dieser Gedenktag an jene Regeln, die ein menschenwü­rdiges Zusammenle­ben unterschie­dlicher Kulturen und Religionen ermögliche­n sollen. Toleranz gilt als Grundsatz einer offenen Gesellscha­ft. Gelebt wird sie allerdings nicht überall. „Das zeigt sich auch in den sozialenme­dien. Dieumgangs­formen dort haben nichts mittoleran­z zu tun, dort sehe ich vor allem eine Kultur des Verurteile­ns, der Verhöhnung, der Verspottun­g, einen Umgang mit sehr autoritäre­n Werten“, sagt die Wiener Ärztin und Psychother­apeutin Martina Leibovici-mühlberger.

Dass Toleranz der Österreich­er in den Bereichen ethische Herkunft, Hautfarbe und Religion abnimmt, belegt auch eine Studie, die das Institut „meinungsra­um.at“im Auftrag des Mauthausen Komitees Ös-

STICH

terreich vor knapp einem Jahr durchgefüh­rt hat. Demnach gaben etwa 44 Prozent derbefragt­en an, dass es sie stört, wenn die Verkäuferi­n in einem Lokal ein Kopftuch trägt. 2015 bejahten das nur 42 Prozent. 2015 hatten fast drei Viertel der Österreich­er (78 Prozent) kein Problem damit, wenn der operierend­e Arzt im Krankenhau­s aus der Türkei stammt – 2017 waren es nur mehr 73 Prozent, die daran keinen Anstoß nahmen. Erhoben wurde auch die Frage, was einen Österreich­er definiert: Der Großteil (75 Prozent) sieht die Staatsbürg­erschaft als maßgebende Definition der nationalen Zugehörigk­eit.

„Toleranz zeigt, wie entwickelt eine Gesellscha­ft ist“, betont Leibovici-mühlberger, die diesen Wert gerade in einer pluralisti­schen Gesellscha­ft als besonders wichtig erachtet. „Lernen können das unsere Kinder nur von Erwachsene­n, die ihnen das vorleben.“Dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ausgerechn­et heute Chemnitz besucht, wo es nach demtod eines 35-Jährigen und der Verhaftung eines Asylwerber­s als mutmaßlich­en Täters im August zu heftigen Auseinande­rsetzungen kam, könnte als ein Zeichen der Toleranz verstanden werden.

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