Vorbei ist es nun auch mit dem „Urkilogramm“
Kleine Revolution in Versailles: Internationale Maßeinheiten werden auf eine neue Basis gestellt.
Wer
kann sich nicht erinnern, an das „Pariser Urmeter“oder das „Pariser Urkilogramm“? Die geheimnisvollen Körper, von denen alle internationalen Maßeinheiten abgeleitet sind? Damit ist ab sofort Schluss, heute beschließen Wissenschaftler aus aller Welt in Versailles bei Paris, die Maßeinheiten auf neue Füße zu stellen. Unsere Gewichte, Zeiten, Geschwindigkeiten, Kräfte, Leistungen, Widerstände, Wärmemengen und soweiter bekommen eine neue Basis, das „Internationale Einheitensystem“(SI) wird reformiert.
Es ist das Pariser Urkilogramm, das als letzte der klassischen Maßeinheiten seine Rolle verliert. Dieses Referenzobjekt schwächelt seit Langem. Im Laufe der Zeit hat es rund 50 Mikrogramm an Masse verloren – Atome, die verdampft sind. Diese Unsicherheit kann man in Zeiten, wo man auf Dutzende Nachkommastellen genau messen kann, nicht mehr zulassen. Schon in den 1970er-jahren verlor aus diesem Grund das Pariser Urmeter seine Bedeutung.
Ersetzt werden diese Referenzobjekte künftig durch Naturkonstanten. Das sind Werte in dieser Welt, die natürlich fixiert sind. Das bekannteste Beispiel ist die Lichtgeschwindigkeit. Seit Albert Einstein weiß man, dass sie – egal, wie man sie misst – immer gleich groß ist. Eine andere Naturkonstante ist das Planck’sche Wirkungsquantum, eine winzige Größe der Quantenphysik. Eine weitere herausragende Größe, die hier eine Rolle spielt, die Boltzmann-konstante, ist nach dem berühmten österreichischen Physiker benannt.
Aus diesen Bausteinen bauen nun die Physiker ein neues Einheitensystem auf. Damit das nicht allzu verwirrend ist, bleiben die bisherigen Grundeinheiten (Meter, Kilo, Sekunde etc.) weiter bestehen. Sie sind aber nicht mehr grundlegend, sondern setzen sich aus diesen Naturkonstanten zusammen. Aber warum tun sich die Metrologen (Wissenschaftler, die sich mit Maßen und Gewichten beschäftigen) diesen Aufwand überhaupt an?
Zugrunde liegt eine Forderung, die bereits vor mehr als 200 Jahren zu unseren bekannten Maßeinheiten geführt hat: dass Längen, Gewichte und andere Messeinheiten standardi- siert werden. Als im Zuge der Französischen Revolution der Meter (als 40-millionster Teil des Erdumfangs) und das Kilo (als 1000Kubikzentimeter destillierten Wassers) festgelegt wurden, wollte man das weltweite Chaos an Maßeinheiten beseitigen. In allen Ländern gab es jeweils (!) Hunderte verschiedene Ellen, Fuß, Gramm, Unzen usw. Das Pfund des Bäckers hatte ein anderes Gewicht als jenes des Apothekers; jede Stadt hatte ihre eigene Elle, jedes Land seine eigene Meile.
Seit 1960, als das internationale System endgültig beschlossen wurde, haben sich beinahe alle Länder angeschlossen. Lediglich in Bereichen wie der Luftfahrt oder in Ländern wie den USA dominiert noch das veraltete Meilen-/fußsystem.
Für den Konsumenten wird diese Umstellung, die ab Mai 2019 dann gelten soll, nichts ändern. Alle Metermaße bleiben bestehen, die Sekunde bleibt gleich lange. Und nein: Die Gewichtszunahme zur Weihnachtszeit wird man nicht damit erklären können, dass das Pariser Urkilo abgeschafft wurde ...
Norbert Swoboda